Atari: Game Over (USA 2014, Zak Penn) (Xbox Live)
Der Abfall von Gestern ist das historische Artefakt von Heute. Was für die archäologischen Fundstücke des Altertums gilt, die nicht selten in den Müllgruben versunkener Menschensiedlungen gefunden werden, gilt natürlich auch für unser eigenes Erbe an die Zukunft. Mit dem Unterschied, dass wir schneller vergessen, was einmal Abfall gewesen ist, und den Abfall deshalb eher entdecken. Die Archäologie gräbt dann solche Artefakte aus und stellt sie den Historien entgegen.
Zak Penns Dokumentarfilme unterhalten ein entspanntes Verhältnis zur Wahrheit; Authentizität wird eben durch ästhetische Praxis gestiftet und wahr ist, was wahr erscheint. Insofern können die drei auslösenden Historeme seines Films „Atari: Game Over“ auch getrost als Simulakra betrachtet werden: 1. Das Computerspiel „E.T. – The Extraterrestrial“ ist das schlechteste Computerspiel aller Zeiten. 2. „E.T. – The Extraterrestrial“ hat den ersten Crash der Computerspiel-Industrie ausgelöst. Und 3. „E.T. – The Extraterrestrial“ wurde angeblich aus beiden Gründen in der Wüste von New Mexico verscharrt. Dies sind die drei Paradigmen, die Penn zusammenzuführen versucht, indem er sich Zeitzeugen erinnern lässt; Computerspiel-Diskurse der Vergangenheit wiedererzählt und dann in die Wüste fährt, um nach dem Spiel zu suchen.
Dass er dort zuallererst einen Zeitungsausschnitt aus der „Verschüttungswoche“ findet, ist schon ein subtiler Hinweis, dass in der Wüste wie im Film viel mehr vergraben ist, als Computerhardware. Es sind die Diskurse selbst, die archäologische geborgen werden wollen. Zunächst einmal ganz „klassisch archäologisch“, indem man sie aus den Archiven holt und zurück in Narrative überführt: Da erinnert sich der Programmierer von „E.T. – The Extraterrestrial“, Howard Scott Warshaw, der Gründer von Atari, Nolan Bushnell, Manager, Mitarbeiter, Spieler und Journalisten von damals und tragen alle ihr Puzzle-Teil für das Gesamtbild zusammen.
Was noch fehlt, ist die „unerhörte Begebenheit“, die die 60-minütige Dokumentarfilm-Novelle benötigt, um sich vollends zu legitimieren: Das Spiel wurde „angeblich“ auf der Müllhalde von Alamogorde vergraben. Es dort zu suchen und zu finden könnte helfen, die versprengten Historeme, Erinnerungen und Anekdoten in ein neues Licht zu setzen. Und genau das passiert dann natürlich auch. „E.T. – The Extraterrestrial“ war weder das schlechteste Spiel (es werden andere Titel genannt), noch hat es der Computerspiel-Industrie den Todesstoß versetzt, weil es „millionenfach“ retourniert wurde (es stellt nur einen Bruchteil der Spiel-Hardware, die in der Müllkippe versenkt wurde, dar) und damit sind Atari, Warshaw und das Spiel rehabilitiert.
Der Skandal der Computerspielgeschichte war gar keiner – es war alles nur ein künstliches Narrativ; eines von der Sorte, mit denen wir uns die Schwankungen der Zeitgeschichte verständlich erzählen. Es könnte alles so schön sein, wenn da nicht der Skandal des stummen Objektes wäre. Archäologie fördert immer schon Nondiskursives an die Oberflächen, das sich der Diskursivierung so lange sträubt, bis es „erkennungsdienstlich“ behandelt wurde: Altersbestimmung, Erklärung der Fundstelle, Rückschlüsse auf die Nutzung und Positionierung in der Kausalkette von historischen Ereignissen.
An anderer Stelle hatte ich bereits gesagt, dass die eigentliche Bergung von „E.T. – The Extraterrestrial“ nicht in der Wüste der realen Welt, sondern in der Wüste des Objektcodes geleistet wurde – und zwar schon bevor der erste Bagger auf den Schutthaufen der Geschichte gefahren ist. Dass allerdings Penns Film, beziehungsweise der Gossip, der rund um seine Entstehung produziert wurde, die Präzession der Simulakra noch einmal beschleunigt hat und den Zuschauer wieder nur im Zeichengewirr zurück lässt, lässt sich ebenso an den nachfolgenden eBay-Auktionen, in denen „Original Wüsten-Module“ als verkauft wurden ablesen, wie auch an der der Nerd-Kultur immer schon eigenen Ironisierungstendenz (also der ständigen Meta[-]phorisierung ihrer Zeichenwelt):
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