Auszug aus: Helmar Frank (1990): Rechtfertigung von Rechner- und Sprachmodellen durch die kybernetische Transfertheorie. In: GrKG, Band 31, Heft 3 (1990), S. 100-108.
Als Lehrbuchkapitel findet sich in der 2. Auflage der „Kybernetischen Grundlagen der Pädagogik“ schon 1969 im Anschluß an eine elementare Einführung in die Theorie abstrakter passiver und spontaner Systeme ein anschauliches Rechnermodell, das Studierenden der Pädagogik eine Einsicht in das Prinzip des Digitalrechners vermitteln sollte (Frank, 1969, Bd.I, Kap. 3.7). Um möglichst geringe physikalische Kenntnisse voraussetzen zu müssen, waren alle Speicher und logischen Schaltungen durch Relais dargestellt. An die Realisierung dieses anschaulichen Modells durch ein funktionierendes, physikalisches Rechnermodell war nicht gedacht und nicht zu denken.
Die rasche Ausbreitung der Rechner ließ bald seine schon schulische Behandlung als angemessen erscheinen, und zwar in allen Schulzweigen, also bereits auf der Sekundarstufe I. Für diese Altersstufe schien ein nur gedachtes Rechnermodell nicht auszureichen. Eine vollständige elektromechanische Realisierung wäre technologisch gesehen archaisch, wirtschaftlich unvertretbar und pädagogisch unnötig gewesen; es konnte und kann als ausreichend gelten, die Funktionen der Konjunktion, Disjunktion, Negation und des 1-Bit-Speichers mit Relaisschaltungen vorzuführen und darauf zu verweisen, daß noch andere physikalische Möglichkeiten der Objektivierung dieser geistigen Grundfunktionen existieren. Zum Aufbau stufenweise komplexerer Funktionseinheiten (z.B. Halbaddierwerk-Volladdierwerk-Rechenwerk) konnten daher in Anwendung des informationspsychologischen Prinzips des komplexbildenden Superierens Zusammenschaltungen von „schwarzen Kästchen“ aus einem stufenweise komplexeren Bausteinvorrat vorgenommen werden, wobei jeder solche schwarze Kästen statt der zuvor behandelten Schaltung auch eine dazu äquivalente Realisierung desselben „Denkzeugs“ enthalten konnte – z.B. auch eine elektronische Schaltung.
Da aber auch eine solche Realisierung seinerzeit zunächst noch als wirtschaftlich nicht vertretbar erscheinen mußte, wurde am Institut für Kybernetik in Berlin (U. Ehmke, I. Meyer u.a.) nur die Benutzeroberfläche dem pädagogischen Konzept getreu entwickelt: mit Tasten und einem sehr einfachen Lochkartenleser für die Eingabe, und Lampenfeldern für die Ausgabe. Dagegen wurden Speicherwerk, Rechenwerk und Leitwerk des scheinbar an jedem Schülerplatz in einem eigenen Exemplar verfügbaren Rechnermodells in Wirklichkeit mit einem Nixdorf-Kleinrechner zentral simuliert. Der Prozeß des stufenweisen Aufbaus des MORE („Modell-Rechner“) wurde durch ein „Entdeckenlassen“ pädagogisch simuliert; zur Abdeckung der Rechnerkonsole wurde eine Folge von Masken entwickelt, die immer mehr Durchblick zur fertigen Benutzeroberfläche gaben und die jeweils interessierenden Datenpfade zwischen den schon aufgedeckten Tasten und Lämpchen aufgedruckt enthielten. In dieser Form wurde das mediendidaktische Konzept einschließlich der von Ingeborg Meyer entwickelten Unterrichtsentwürfe in einem Schulversuch in Berlin erprobt und zum Inhalt der ersten deutschsprachigen Buchveröffentlichung über die Didaktik der Informatik (Frank/Meyer, 1972).
Fortschritte und Preisverfall im Bereich elektronischer Schaltelemente ermöglichten schon kurz darauf – ohne Änderung des pädagogischen Konzepts – Entwicklung und Produktion autonomer Rechnermodelle für den Schülerplatz und (als Demonstrationsmodell) für den Lehrer durch die seinerzeitige Firma ELFE in Berlin. Der praktische Einsatz blieb auf wenige Schulen beschränkt, da sich in der Informatik-Didaktik inzwischen der entgegengesetzte Weg rasch durchgesetzt hatte: der Einstieg bei der Programmierung des kommerziell verfügbaren Rechners.
Ohne daß damals bereits explizit von der Rolle von Lehrstoffmodellen im Rahmen einer bildungskybernetischen Transfertheorie gesprochen worden wäre kann MORE als ein solches Modell angesprochen und an ihm die Prinzipien der Einfachheit, Regelmäßigkeit und Deutlichkeit beispielhaft erläutert werden. Es war auch als selbstverständlich unterstellt worden, daß der Weg über dieses Modell einen anschließenden Unterricht über Struktur und Programmierung kommerzieller Rechner erheblich erleichtern werde, und zwar so, daß der Umweg über das Lehrstoffmodell der zeitlich kürzere Weg ist. Dies wurde allerdings damals weder transfertheoretisch untermauert noch empirisch nachgewiesen, was nachgeholt werden sollte.
Wenn – was unterstellt werden darf – ein latenter Transfer mit einem noch so kleinen Faktor k > 1 vom propädeutischen Rechnerkunde(A-)unterricht zu einem an kommerziellen Rechnern (B) orientierten Informatikunterricht besteht, dann läßt sich im Falle der Lernsteuerung immer, im Falle der Lernregelung vielfach aus den Lernfunktionen (9) bzw. (7) berechnen, von welcher als Lehrziel angestrebten Mindestkompetenz !p für B an der Zeitaufwand für A durch die transferbedingte Zeiteinsparung bei B überkompensiert wird. Dies ist ohne Rechnung unmittelbar einsichtig, wenn man nur bedenkt, daß ja zwar das Schaubild der Lernfunktion für B um die in das Lehrstoffmodell, also für den A-Unterricht, investierte Zeit verschoben wird, aber zugleich wegen des Transfers rascher steigt (nämlich mit dem Parameterwert k · A. statt A.), also verformt wird, so daß die ursprüngliche Kurve notwendig geschnitten wird. Im Falle der Lernregelung könnte aber der (dann irreale) Schnittpunkt oberhalb von p = 1 liegen, falls der Zeitaufwand für A zu groß oder der Transferfaktor k zu klein ist.
Der Gedanke des Rechnerkundeunterichts verdient heute wiederaufgenommen zu werden, a) weil der Bildungswert des inzwischen üblichen schulischen Informatikunterrichts fragwürdig ist, da dieser, statt eine Einsicht in die wesentlichen Strukturprinzipien des Rechners und damit in seine Möglichkeiten zu vermitteln, lediglich die (Benutzer-)“oberflächliche“ Anwendung derzeit mehr oder minder zufällig verfügbarer Programmiersprachen und kommerzieller Rechner drillt, b) weil die Bestimmung des Transferfaktors bildungswissenschaftlich reizvoll erscheint, und vor allem c) weil die heutigen, mit Bildschirmen versehenen und schon in den meisten Schulen verfügbaren Tischrechner das MORE-Konzept simulierbar machen, wodurch einerseits keine prinzipiellen Anschaffungskosten mehr anfallen (der Aberglaube, das Simulationsprogramm müsse prinzipiell als „softe Ware“ gekauft werden, wurde an anderer Stelle – Frank, 1990 – gerügt!), und andererseits durch eine so mögliche medientechnologisch bessere Gestaltung des Rechnerkundeunterrichts dessen Lernleichtigkeit und Transferwirkung vergrößerbar sind.
Literatur:
- Frank, H. (1969): Kybernetische Grundlagen der Pädagogik, 2.Aufl., Agis, Baden-Baden.
- Frank, H. (1990): Moralo pri komunikado I Kommunikationsmoral Acta sanmarinensia academiae scientiarum internationalis D1. LTV Alsbach.
- Frank/Meyer (1972): Rechnerkunde. Nachdruck in MederiSchmid (1973/74), Bd. 5, S. 585-774).