»Was können wir einzelne ausrichten?«

Plug & Pray (D 2009, Jens Schanze) (Premiere Babylon Mitte)

Nachdem Schanzes Film nun seit gestern im Kino läuft und daher seit ein paar Tagen auch die ersten Kritiken zu lesen sind, bin ich zunächst ziemlich überrascht über deren Tenor gewesen: Kaum ein Text kümmert sich um den Film als solchen; die meisten Kritiker interessiert vorrangig das Thema. Das ist ja nun leider bei der Dokumentarfilm-Gattung nichts neues. Ärgerlich ist es aber angesichts der beinahe schon demagogischen Technophobie, die Schanzes „Plug & Pray“ besitzt, und mit der er um Zustimmung für seinen heischt, die jedoch eigentlich Zustimmung zum Thema Robotik ist.

Die gestrige Premierenfeier hat das allerdings noch mehr als die Filmkritiken bestätigt. Schanze selbst war nicht zugegen, jedoch seine Produzentin, ein Kameramann und als Gast der HU-Informatiker Werner Coy, der sich seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Implikationen der Informatik für mehr technikkritisches Bewusstsein im Umgang mit Computern und Robotern einsetzt. Nachdem der Film – wie mir bei der zweiten Sichtung noch eindringlicher klar wurde – seine subtile Vorurteilsästhetik erfolgreich in den Zuschauerköpfen platzieren konnte, erfolgte in der Podiumsdiskussion zwischen den dreien und dem Publikum dann die Abrechnung mit der Robotik Schanze’scher Darstellung.

Sowohl der Moderator als auch die Produzentin und der Kameramann übertrumpften sich abwechselnd mit Monologen über die Gefahren der Robotik, die der Film zuvor geschildert hatte, kamen mit wohlfeilen Empfehlungen zur (technophobischen) Kindererziehung daher und traten insgesamt als Fachleute … nicht etwa des Films, sondern ihrer diffusen Ängste, die sich am und durch den Film kondensiert hatten, auf. Wolfgang Coy, zwischendrin immer wieder um eindeutige Stellungnahmen gebeten, hatte gar keine Zeit, die Ambivalenz des Themas Technologieentwicklung und Technikfolgenantizipation zu entfalten, denn auch er war viel zu schnell von der allgemeinen Atmosphäre eingefangen und prolongierte alle Robotik-Entwicklung in Richtung Waffentechnik.

Er mag zwar nicht ganz Unrecht darin haben, dass die zumeist vom Militär (co-)finanzierten Projekte auch einmal waffentauglich sein könnten und sein sollen – sie sind es in diesem Stadium allerdings noch nicht, sondern besitzen vielmehr die Kapazität alles möglich zu sein: eben auch chirurgische Geräte, soziale Dienstleister, Spielzeuge und – das wird sehr gern im Diskurs unterschlagen – Experimentierobjekte der Anthropologie und KI-Forschung.

Der Mensch ist ein technologisches Wesen, seit der das Paradies verlassen hat (was eben auch nur eine Metapher dafür ist, dass er von der Jäger-und-Sammler-Kultur zu einer des Ackerbaus und der Viehzucht übergegangen ist, die die technologische Umwandlung seiner Umwelt notwendig machte). Seit er Werkzeuge benutzt, lassen sich diese Werkzeuge für friedliche wie kriegerische Zwecke einsetzen. Es ist allerdings keine grundsätzliche Qualität des Werkzeugs, Kriegswaffe zu sein. Technologische Entwicklungen zu unterdrücken, weil sie dieses Potenzial besitzen, scheint mir also etwas sehr kulturblind zu sein. Es geht nicht um die Vermeidung, sonder um die kritische Verwendung und Projektierung, die gefragt ist.

Das Publikum ist ob der einerseits von Sarkasmus und Altersstarrsinn geprägten Großväterlichkeiten Jospeh Weizenbaums (der zuletzt sichtlich ungeduldig geworden ist, seine Thesen von Anfang der 1970er-Jahre immer wieder zu perpetuieren), andererseits vom manischen Technoutopismus Ray Kurzweils deutlich beeinflusst worden: Leute wie Kurzweil sind der Untergang, während Leuten wie Weizenbaum zu wenig Gehör verschafft wird – „Plug & Pray“ tritt an, dies zu ändern. Und so kommen Fragen aus dem Publikum in Richtung Filmteam (!), was denn jeder einzelne tun könne, „um das zu verhindern“. Oder eine Frau konstatiert, ihre „feministische Brille aufsetzend“, dass im Film ja nur deshalb ausschließlich männliche Robotiker zu sehen seien, weil die alle keine Frau bekämen und sich deshalb im Labor Kinder-Surrogate basteln. So einfach ist die Welt! Dass der Frau nicht widersprochen wurde, liegt daran, dass Konsens darüber herrschte, dass das Böse (in Form der Roboterentwicklung) aus der Welt getrieben werden muss und jedes Mittel dazu recht ist – natürlich auch irrationale und ideologische Verbrämung.

„Plug & Pray“, das ist mir bei der zweiten Sichtung noch deutlicher geworden als bei der ersten, liefert gar keinen Beitrag zur kritischen Diskussion um Technikentwicklung und schon gar keinen zur kritischen Informatik. Er peitscht seinem Publikum einfach nur ein. Schanze und sein Team haben sich vor dem Wagen des charismatischen Weizenbaums spannen lassen, an dessen Seite in riesigen Buchstaben aber mit unsichtbarer Tinte geschrieben steht: „Ich habe Angst!“ Über diese Angst zu verhandeln, zu fragen, warum unsere Gesellschaft der Technik mal positiver, mal negativer gegenübersteht, warum der Roboter als Simulakrum ein perfektes Sinnbild dieser Angst ist, welche Rolle doktrinäre, christliche Wert- und Körpervorstellungen bei der Skalierung dieser Angst spielen: das wäre mal ein Thema für einen Dokumentarfilm über Roboter. Den würde sich aber kein Mensch ansehen, weil er selbst darin thematisiert würde und nicht auf das Andere ausweichen könnte.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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2 Antworten zu »Was können wir einzelne ausrichten?«

  1. Debora Weber-Wulff sagt:

    Als „die Frau“ muss ich etwas klarstellen – ich habe nicht gesagt, dass sie keine Frau abbekommen haben, sondern dass sie unter Uterusneid leiden – da leider nur Frauen Kinder bekommen können, müssen sie Roboter bauen, um Kreaturen zu schöpfen, die teilweise ihre Ebenbilder sind.

    Warum werden die Roboter gebaut? Irgendwas mit „Alten helfen“? Quatsch. Sie werden aus reiner Egoismus gebaut, und das verschlingt viel Geld, die meiner Meinung nach besser für die Gesellschaft eingesetzt werden könnte für Bildung und Gesundheit, zum Beispiel. Außer militarischen Nutzung: wer hat wirklich etwas vom Roboter? Was gibt es für Use Cases?

    Ich fand die japanischen Mangas sehr traurig – ein einsames Kind mit ein Stofftierroboter vor einem Bildschirm. Das ist doch nicht das richtige Leben!

    Weizenbaum verlangte immer Nachdenken – warum machen wir das? Was für Folgen kann unsere Handeln haben? Und wenn ich mit den Folgen nicht einverstanden bin, muss ich die Notbremse ziehen.

  2. Danke für ihre Klarstellung, aber Sie haben nichts von „Uterusneid“ gesagt – daran hätte ich mich sicherlich hier erinnert (die Psychonalyse gibt schon eine Menge Vorwürfe her, wenn man sie als Kampfsprache missbraucht!) -, sondern sich mit ihrer Gleichsetzung von biologischen Reproduktionsabsichten und der gezeigten Forschungsarbeit der Männer einfach passend aggressiv in dem ohnehin ebenso aggressiven Diskurs zum Thema eingebracht. Und selbst wenn Sie das Wort benutzt hätten: als Argument ist nicht weniger irrational simplifizierend: Würde ich entgegenhalten, dass nur deshalb keine Frauen in der Robotikforschung tätig sind (was für Sie ja offenbar dasselbe heißt wie: „im Film gezeigt werden“), weil sie sich ihrem biologischen Schicksal folgend als gebärfähige Menschen gar nicht mit Technik auseinandersetzen müssen – ihre Mutterfunktion genügt ihnen ja schon … Sie müssten Ihre feministische Brille gleich noch einmal aufsetzen, obwohl ich genau dasselbe damit ausgedrückt hätte.

    Das andere Argument, Roboter hätten keinen Nutzen haben Sie artig aus dem Film übernommen. Der Computer, mit dem sie hier in mein Blog Ihren Kommentar eingetippt haben, ist natürlich ebenso wenig in einer Manufaktur des 19. Jahrhunderts entstanden, wie die feministische Brille, die sich sich kurzfristig aufgesetzt hatten – sie wurden großteils beide von Robotern gefertigt, was gleich mehrere soziale, technische und marktwirtschaftliche Gründe hat, die der Film aus Gründen der Komplexitätsreduktion ausgespart hat. Dass Weizenbaum im Film keine sinnvollen Gründe für den Bau auch humanoider Roboter aufgeführt hat, heißt daher auch nicht automatisch, dass keine existieren, sondern bestenfalls, dass er vergessen hat sie zu erwähnen – schlimmstenfalls: dass er sie seinen Zuhörern vorenthalten hat, um die Tendenz seines Vortrags nicht zu gefährden. Eine sinnvolle Einsatzmöglichkeit ist meines Erachtens bereits die analytische Funktion: Was die KI-Forschung und die Robotik mit Forschungsgeldern über dem Menschen und seine Interaktion mit Maschinen lernen, indem Sie ihn teilweise funktional und äußerlich zu replizieren versuchen, ist ebenso ein „Gewinn“ (und keineswegs ein ausschließlich idealistischer: http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,664784,00.html ).

    Und selbst „irgend etwas mit Alten helfen“ scheint mir nur dann als zynisch, wenn man das Helfen selbst als überflüssig erachtet: Natürlich wäre es besser, wenn ein alter Mensch stabile soziale Kontakte hätte, die auch bis ins Altersheim hineinreichen (und vielleicht so gut wären, dass er gar nichts ins Altersheim zu gehen bräuchte) – die hat er aber nicht in jedem Fall. Und warum die Übertragung von Empathie und Zärtlichkeit auf eine Roboterpuppe ( http://www.youtube.com/watch?v=cF-K5g0inq0 ) als Surrogat dafür schlechter sein soll, als das Fehlen von jeglichem Kontakt, ist mir nicht einleuchtend. Die Robotik kann für die desolate Situation im Alter genauso wenig als Ausrede wie als Gegenargument genutzt werden, wenn man alte Menschen nicht für fremde Zwecke instrumentalisieren will. Wer etwas daran ändern möchte, dass alte Menschen künftig vielleicht nur noch auf Roboter als soziale Agenten zurückgreifen können, sollte mit seiner humanitären Arbeit nicht bei der Kritik an der Robotik beginnen.

    Ebenso die andere Altersrichtung: Darüber, ob das sitzen mit einem Stofftier vor dem Fernseher das richtige oder das falsche Leben für das japanische Kind ist, möchte ich nicht entscheiden. Ich kenne weder das Kind und seine in diesem Moment existierenden Bedürfnisse, noch weiß ich was „das richtige Leben“ ist. Das überlasse ich gern beides engagierteren Zeitgenossen. Dass das Kind mit einem Roboter spielt, scheint mir an sich erst einmal nichts problematisches. Kinder suchen sich ihr Spielzeug, wählen es aus – wenn sie sich nicht dafür interessieren, heißt das auch, dass sie „nichts daran finden“, was für ihr Lernalter interessant ist. In diesem Fall würde der Roboter links liegen bleiben. In jedem Fall aber löst ein solches Bild ein Amalgam romantischer Kindheitsvorstellungen und technophobische Reaktionen aus. Dass das gut geeignet ist, die Menschheit am Abgrund zu wähnen, ist seit E.T.A. Hoffmann und Jean Pauls Maschinenmenschen-Geschichten gut erforscht.

    Zu guter letzt: Dass es kein Nachdenken und vor allem Vorausdenken über die Folgen über das Technischen Handelns in der Robotik gibt, ist ebenso ein Märchen, das der Film erfolgreich aufgetischt hat. Es existiert seit Jahrzehnten sowohl in der Informatik wie in der Politik (sogar die Bundesregierung leistet sich eine Arbeitsstelle zur Technikfolgenantizipation: http://www.tab-beim-bundestag.de/de/ insb.: http://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u139.html ). Vielleicht sollte allein diese Tatsache, die ja sogar von Wolfgang Coy, der seit Jahrzehnten auf dem Gebiet tätig ist, unerwähnt blieb, einmal einen etwas kritischeren Blick auf die Darstellungen des Films sowie das, was Joseph Weizenbaum darin proklamiert hat, liefern. Mir erscheint es jedenfalls immer wieder als ein Wunder, dass ein Dokumentarfilm, der über eine Sache berichtet, von seinen Zuschauern oft nicht bloß fraglos übernommen wird (wenn er seine Ästhetik nur geschickt genug einsetzt), sondern dass all das, was im Film nicht erwähnt wird, automatisch als nicht existierend gilt. In dieser Hinsicht muss man Schanzes Film den Aufklärungsaspekt leider völlig absprechen. Aber das habe ich ja auch schon mehrfach getan.

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