Sounds like a Melody

Geräusche, die die Computerperipherie erzeugt, werden zumeist als störend empfunden. Deshalb versucht man sie dort, wo sie anfallen, einzudämmen oder die Geräte so weiterzuentwickeln, dass sie geräuschärmer werden – mit dem Ergebnis, dass laute Peripherie ausstirbt. Das markanteste Beispiel dafür sind die Computerdrucker: War es in der Frühzeit dieser Geräte noch regelrecht gehörschädigend, sich längere Zeit in ihrer Nähe aufzuhalten (siehe Torsten Othmers Artikel in der RETRO #27), so sind sie – über die kreischenden Nadeldrucker der 1970er- und 1980er-Jahre – zu den heutigen nahezu geräuschlosen Tinten- und Laserdruckern weiterentwickelt worden.

Ähnliches galt und gilt auch für Massenspeicher, wie Diskettenlaufwerke, Festplatten oder für motorisierte Peripherie wie Scanner und Plotter. Etwas anders hat es sich mit den Lüftern zur Kühlung der Computer verhalten. Brauchten die Computer anfangs noch große Kühleinheiten um die energiehungrigen, schrankgroßen Rechnereinheiten in betriebsfähigen Temperaturen zu halten, so war das bei den Heimcomputern mit einem Mikroprozessor und in der Regel nur einer Platine für die komplette Elektronik nicht mehr nötig. Die Heimcomputer sowie viele PCs wie der Apple II und sogar der erste Macintosh waren lüfterlos und somit lautlos. Das änderte sich dann schnell mit dem IBM PC und dessen kompatiblen Klonen. Je leistungsfähiger die PCs wurden, desto größer wurden ihre Lüfter. Apple widersetzte sich dem Trend mit dem ersten iMac, der trotz vergleichbarer Leistung völlig ohne Lüfter auskam. Von diesem Zeitpunkt an wurde versucht, mit Strom sparenden Komponenten und besseren Lüftungskonzepten die Lärmkulisse der Rechnerkühlung zu reduzieren. Doch die Tatsache, dass die Schallausgaben dieser Geräte in einer Beziehung zu den Steuerdaten der an sie angeschlossenen Computer stehen, hat findige Computernutzer schon früh ihr musikalisches Potential erkennen lassen. Im Folgenden stellen wir Ihnen eine Reihe von Hardwares vor, deren Geräuschemission – wohldosiert und -temperiert – als Melodien und Rhythmen zu Gehör kommen.

Die »Mutter aller Hardwaresounds« kommt natürlich aus dem Computer selbst. Beim ALTAIR 8800 hat man sich um Funkentstörung wohl kaum Gedanken gemacht. Deshalb konnte ein in der Nähe des laufenden Rechners aufgestelltes Radio erheblich von dessen elektromagnetischen Feldern gestört werden. Diese Eigenschaft hat sich der Programmierer Steve Dompier zunutze gemacht und 1975 ein Programm geschrieben, welches Störungen erzeugt, die auf einem neben dem Computer aufgestellten Radio das Lied »Fool on the Hill« wiedergeben. Das Radio wurde damit zugleich zum ersten Peripheriegerät des damals noch recht neuen ALTAIR-Computers. Ein Video, das die Programmierung erklärt und das Stück vorführt findet sich auf dieser Seite. (Dort sind auch der Sourcecode sowie Hintergrundinformationen nachzulesen. Auf einer anderen Seite findet man eine modernere Adaption.)

Drucker

Dass sich das Anschlagsgeräusch einer Schreibmaschine als Rhythmus hören lässt, hat Jerry Lewis eindrucksvoll im Film »Who’s Mining the Store?« (1963) vorgeführt, in welchem er (mit einer imaginierten Schreibmaschine) das von Leroy Anderson 1950 komponierte Stück »The Typewriter« spielt:

Nicht nur typenbasierte Drucker können Rhythmus erzeugen. Die schrittweise Bewegung der Transportrolle hat man später auch für Nadeldrucker zum Erzeugen von Percussions genutzt. Notabene ist das Kreischen der Nadeln selbst natürlich für den allerdeutlichsten Output verwendbar. In diesem Video steuert ein Komponist seinen Nadeldrucker zu diesem Zweck:

… und zeigt in seinem Weblog noch weitere Soundexperimente – etwa die Ansteuerung eines Druckers direkt über einen Software-Sequenzer. Der von ihm erwähnte Experimentalmusiker Paul Slocum hat mit Hilfe eines Matrixdruckers sogar einen kompletten Synthesizer konstruiert.

Die Musikerin Sue Harding hat sich mit ihrem Drucker ebenfalls einer eher elaborierteren Kunstmusik verschrieben. Im Video hört man diese und die Künstlerin die Hintergründe erläutern, während man ein bisschen Technik und Videokunst zu sehen bekommt:

Da mit der Erfindung des Druckers der Anschlag der Tastatur kein akustisches Feedback mehr erzeugte, integrierten die Tastaturhersteller zu Beginn der Computerisierung den mechanischen Tastaturklick in das Keyboard. Wo der mechanische Aufwand zu groß oder nicht möglich war, wie bei Folien- oder Gummitastaturen, erzeugten die Computer selbst ein äquivalentes Geräusch. Dieser Tastaturklick hielt sich bis Ende der 1980er-Jahre. Doch zurück zu den Druckern: An der Technischen Universität in Prag ist im Institut für Elektrotechnik ebenfalls ein Nadeldrucker-Musikprojekt entstanden. Dort wurden die Druckgeräusche zweier Drucker genutzt, um ein Weihnachtslied anzustimmen:

Ein etwas kostspieligeres Experiment hat sich Jeffrey Ballard geleistet: Er benutzt einen 3D-Drucker, um den »Imperial March« aus dem »Star Wars«-Soundtrack von John Williams zu intonieren. Das Stück ist eines der beliebtesten, wenn es um die Inszenierung von Musik auf Hardware geht. Die hier vorliegende Inszenierung gehört in den großen Bereich der Schrittmotor-Musik (siehe weiter unten), weil die Töne von den X-Y-Z-Motoren des Druckers generiert werden:

Plotter und Scanner

In einer Raumdimension aber keiner Klangdimension weniger lassen sich auch Plotter und X-Y-Schreiber für musikalische Zwecke missbrauchen. Die Menge an Beispielen ist immens. Im »Scanjet«-Forum hat jemand einen Ausschnitt von Antonio Vivaldis »Vier Jahreszeiten« vorgestellt. Sein Scanner spielt die ersten Takte aus »Frühling«:

Ebenfalls der (im doppelten Wortsinn) E-Musik zuzurechnen ist wohl diese Adaption von Beethovens Albumblatt »Für Elise« vom Scanner intoniert:

Und der »Imperial March« darf für dieses Instrument natürlich ebenfalls nicht fehlen:

Diskettenlaufwerke und Festplatten

Besonders die 5,25-Zoll-Laufwerke eignen sich wegen ihres größeren Resonanzkörpers – die Laufwerksmechanik wurde von einem Aluminium-Druckgussrahmen getragen – sehr gut zur Erzeugung der typischen Laufwerksgeräusche. Optimal sind externe Diskettenlaufwerke, wie das des C64, da diese ein eigenes volumniöses Gehäuse besitzen. Die Geräusche werden dabei von der Bewegung des Schreib-Lese-Kopfes erzeugt, der durch einen Schrittmotor auf einer Schiene hin und her bewegt wird. Lese- und Schreibvorgänge, die durch mehrere kurze Zugriffe erfolgen, können für rhythmische Geräusche genutzt werden, wie man sie beispielsweise für den »Imperial March« benötigt:

Das funktioniert sowohl für 5,25- als auch für 3,5-Zoll-Laufwerke (rtro.de/hwsnd13). Für anhaltende Geräusche in unterschiedlicher Tonhöhe programmiert man den Schreib-Lese-Zugriff des Kopfes so, dass er möglichst lange Distanzen auf dem Schlitten zurücklegt. Damit lassen sich dann schon recht komplexe Arrangements spielen, wie das Popmusik-Stück »Ghostbusters«

… oder das etwas klassischere »In der Halle des Bergkönigs« aus Edward Griegs »Peer Gynt«-Suite:

Findige Bastler haben bereits eine integrierte Lösung zur Erzeugung von Floppysounds entwickelt, die »MOPPY« (Musical Floppy Controller) heißt. Wer Floppy-Sounds mit seiner eigenen 1541 erzeugen möchte, kann sich die Anleitung auf YouTube anschauen: Ein Programm für den C64, das eine angeschlossene 1541 in ein Musikinstrument (und möglicherweise auch in Elektroschrott) verwandelt.

Die Erzeugung von Tönen mit Festplatten funktioniert ganz ähnlich wie bei Floppy-Laufwerken, weil die Mechanik ganz ähnlich aufgebaut ist. Da sich die Schreib-Lese-Zugriffe hier jedoch wesentlich schneller als beim Diskettenlaufwerk programmieren lassen, können auch komplexere Geräusche erzeugt werden – bis hin zur Wiedergabe von Samples mit dem so genannten »Hard Drive Speaker«:

Das funktioniert sogar in Stereo:

Hier wird beschrieben, wie man sich so etwas baut. Als Klangbeispiele anderer Art gibt es zum einen wieder einmal den »Imperial March«:

zum anderen einen beeindruckenden Chor aus 27 Festplatten

Andere Hardware

Mit gewöhnlicher Computerperipherie lässt sich also bereits ganz passabel komponieren – dass diese im Zuge eines »Circuit Bending«-Prozesses dabei nicht selten ihre ursprüngliche Funktion einbüßt, scheint besonders angesichts der empfindlichen Disketten- und Festplattenlaufwerke evident. Wer diese kreative Zerstörung scheut, kann sich auch auf andere Apparate konzentrieren – allen voran natürlich den Tongeber Nummer Eins, den Schrittmotor selbst. Mit Hilfe von Microcontrollern zur Ansteuerung (für Arduino gibt es einige Workarounds) lassen sich Schrittmotoren zu Musikinstrumenten machen:

Da solche nicht nur in der Steuerung von Plottern, sondern auch in den ganz ähnlichen Lasercuttern arbeiten, ist es naheliegend (wenngleich auch etwas teurer in der Anschaffung), diese ebenfalls umzufunktionieren, um darauf beispielsweise die Titelmusik aus »Super Mario« zu spielen:

Noch exquisiter ist eigentlich nur noch die CNC-Maschine, die ebenfalls über eine Motorgeschwindigkeitssteuerung verfügt, deren Umrüstung aber sicherlich schon weit in den Bereich des Hardware-Hackings führt:

Ein ganz anderes Tonerzeugungssystem mit anderen Frequenzmöglichkeiten und Klängen ermöglichen Tesla-Spulen. Diese erzeugen Hochspannung, die sich blitzartig entlädt und von einer Kugel auf die andere überspringt. Je nach Spannungshöhe (und hier sprechen wir von Megavolt – zwischen den Konduktoren sollte man sich also höchstens im Inneren eines Farradayschen Käfigs aufhalten!) emergieren dabei bestimmte Töne, die sich dann wie die Titelmusik aus »Super Mario Bros.« anhören können:

Electric Light and Sonic Wave Orchestras

So lässt sich also mit Hilfe herkömmlicher und exotischer Hardware eine interessante Palette an ästhetisierten Störgeräuschen produzieren, die, wenn man sie sinnvoll arrangiert und zeitgenau ansteuert, die Qualität eines ganzen Orchestern respektive einer Band bekommt. Einige Filmbeispiele zum Schluss führen solche Arrangements vor Augen (und Ohren). Mit Hilfe eines Sets aus Festplatte, Scanner und anderen Tonerzeugern »dirigieren« hier ein Atari 800 XL und ein TI 99 den Titel »House of the rising sun« von The Animals:

In einer anderen Kombo/Kombination spielen in James Housotns Kurzfilm »Big Ideas (don’t get any)« ein ZX Spectrum (als Gitarre), ein Nadeldrucker (als Rhythmusgerät), ein Scanner (als Bassgitarre) und ein paar Festplatten (Gesang) Radioheads »Nude«:

Anderswo mutiert ein C64 in Kombination mit Drucker, Festplatten und Modem zum veritablen Funk-Equipment:

Was also zunächst noch als Störgeräusch wahrgenommen, dann durch Dämmung und Technikevolution zusehends verdrängt wurde, kommt auf diese Weise wieder ans Tageslicht. Ein liberales Musikverständnis sowie das Wissen um die sonischen Qualitäten von elektronischen Bauteilen und Equipments ist dazu ebenso notwendig, wie Kenntnisse über die Ansteuerungslogik der unterschiedlichen Apparate. Mit diesen »Zutaten« lassen sich zu guter Letzt sogar dem letzten verbliebenen (und hier zuerst erwähnten) »Krachmacher«, dem PC-Lüfter, musikalische Klänge entlocken:

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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