„Sex sells“, hieß es früher und damit war zumeist gemeint, dass sich durch das Zeigen leicht- oder unbekleideter Frauen im Rahmen von Produktpräsentationen und Werbung so manches an dem Mann bringen ließ, was vielleicht ohne eine derartige Akzentuierung gar nicht wahrgenommen worden wäre. Dass die angebotenen Waren und Leistungen gar nichts mit den abgebildeten Frauen zu tun haben mussten und das implizite Versprechen von „Sex“, auf welche Art auch immer, kaum eingelöst wurde, stand auf einem anderen Blatt. Es ging lediglich darum, auf ein Produkt, von dem man entweder ausging, dass es ohne dies keine Beachtung fände oder das man speziell Männern andienen wollte, auf diese Weise aufmerksam zu machen. Das galt leider insbesondere in der Computer-Szene. Aber gilt es immer noch?
Ich beginne mit zwei Bildbeschreibungen: Auf dem ersten Bild sehen wir eine Frau, die in die Kamera blickt. Ihr Gesichtsausdruck zeigt eine Art hintersinniges Lächeln. In der Hand hält sie ein Buch der Firma Microdata – eine Anleitung zur Mikroprogrammierung des Computers Microdata 1600, der auf dem Cover abgebildet ist. Sie hält sich das Buch vor den Oberkörper und verdeckt damit ihre Brüste. Zu sehen ist ihr unbekleideter Körper bis hinab zu den Beckenknochen. Auf ihren Bauch ist ein transparentes Formular für die Bestellung des Buches gedruckt. Das zweite Bild zeigt einen Commodore C64-II – allerdings mit einem neuen Gehäuse in dunklem Beige und den braunen und orangen Tasten, die man vom Ur-C64 kennt. Hinter dem Computer stehen zwei übereinander gestapelte Monitore; der untere zeigt das Einschaltbild, der obere ein Disketteninhaltsverzeichnis. Neben dem C64 steht eine 1541-Floppy. Auf dem oberen Monitor sitzt eine Frau. Ihr Unterkörper ist vollkommen unbekleidet. Mit einem Fuß stützt sie sich auf der 1541 ab, mit einer Hand auf dem Monitor. Diese Hand verdeckt auch ihren Schambereich.
Die Werbeanzeige von Microdata stammt aus dem Jahr 1971. Die Firma hatte in diesem Jahr und zur Bewerbung des Microdata 1600 noch weitere ähnliche Anzeigen in Zeitschriften geschaltet. Das Bild mit dem C64 wurde im Jahr 2018 als eines von zwei Bildern auf Facebook mit dem Kommentar „Latest photo shooting“ veröffentlicht. Beide Bilder trennen 47 Jahre – aber sie eint dieselbe Haltung gegenüber Frauen. Auf beiden Bildern werden nackte Frauenkörper (halbiert) inszeniert, um auf etwas ganz anderes hinzuweisen – mal ein Buch, mal auf die (foto)grafischen Leistungen eines Designers. Was beide Bilder noch gemeinsam haben, ist, dass es auf ihnen eigentlich zum Computer geht, die aus der heutigen Perspektive als „historisch“ gelten.
Wie das Foto von der Microdata-Anzeige seinerzeit vom Publikum aufgenommen wurde, weiß ich nicht – einen “Shitstorm” wird es wohl nicht gegeben haben. Zu den Bildern auf Facebook hat es allerdings kontroverse Kommentare von Betrachtern gegeben – zum Beispiel: „Steht da eigentlich ein Joystick auf dem Monitor?“ – „Moisture can damage those monitors“ – „Nimmt [sic!] dieses Ding von der guten Hardware runter…“. Zwar haben einige Kommentatoren auch Kritik geübt, der Autor selbst hat sich zu seinem Werk allerdings nicht mehr geäußert. Die Kommentare haben ihn weder zu einer Erklärung noch zur Distanzierung oder gar zum Entfernen der Bilder veranlasst. Vielmehr sahen sich im Verlauf der Kommentardiskussion die Kritiker selbst im Rechtfertigungszwang, nicht “spießig”, “prüde” oder sogar “frauenfeindlich” (!) zu sein, weil sie solche Darstellungen von Frauen nicht sehen wollten.
Dass derartige Abbildungen heute nicht mehr unwidersprochen publiziert werden können, ist einem kulturellen und gesellschaftlichen Wandel gedankt, bei dem es gelungen ist, sowohl Frauen nicht mehr allein als Lustobjekte als auch Männer nicht mehr als bloß triebgesteuert zu sehen. Etliche Debatten über sexistische Werbung in den letzten Jahren haben gezeigt, dass diese gesellschaftliche, ästhetische und kulturelle Auseinandersetzung aber noch nicht beendet ist. Davon blieben auch die Computerszenen nicht ausgenommen, wie 2014 der “#GamerGate” gezeigt hat, bei dem eine weibliche Spielentwicklerinnen und -rezensentinen von Spielern schlimmste sexistische Beschimpfungen über sich ergehen lassen musste. Es scheint an der Zeit zu sein, auch einmal über die Beziehung der Computergeschichte und des Retrocomputings zum Thema Frauen, Sexualität und Sexismus zu sinnieren.
Unermüdlich wird auf die enorme Bedeutung von Arbeiten und Erfindungen der Computergeschichte hingewiesen, die Frauen zu verdanken sind: Die Erfindung der Software (in Form eines Notationssystems) durch Ada Lovelace im 19. Jahrhundert; die Arbeiten der US-amerikanischen Informatikerin Grace Murray Hopper an der Entwicklung der höheren Programmiersprachen (FLOW-MATIC, Cobol und andere), das weibliche Programmierer-Team des ENIAC, die Entwicklung der Software für das Apollo-11-Mondlandeprogramm durch Margaret Hamilton. Und auch die Homecomputer-Ära hat ihre Heldinnen: Sophie Wilson, die für Acorn zahlreiche Computerhard- und -softwareprodukte entwickelt hat, oder Roberta Williams, die zusammen mit ihrem Mann eine der ersten Spielefirmen „Sierra On-Line“ gründete. Doch mit Ausnahme dieser handvoll bekannter Namen werden Frauen vergleichsweise selten in der Computergeschichtsschreibung hervorgehoben. Wer kennt schon die Entwicklerinnen, die bei Atari in den 1970er- und -80er-Jahren Spiele programmiert haben? Wer die Komponistinnen, die für Nintendo und andere Firmen Spiele vertont haben? Wer die Designerinnen bei Apple? Es gab sie … sie sind jedoch nur wenigen namentlich bekannt.
Das liegt meines Erachtens an einer bigotten Haltung gegenüber Frauen, die sie entweder als Sexobjekte oder als Heldinnen inszeniert (und letztere nicht selten dann auch noch zurück in den anderen Bereich verschiebt, wie man Kommentaren zur Arbeit von Katie Bouman entnehmen konnte, die Anfang dieses Jahres mit ihrem Team die erste Visualisierung eines schwarzen Lochs mit Hilfe ausgeklügelter Software entwickelt hatte). Der Bereich in der Mitte, in dem Frauen normale Entwicklerinnen, Kritikerinnen oder Userinnen sind, ist jedoch unsichtbar. Dieses Schema zieht sich durch die gesamte Mikrocomputergeschichte. Schon in den 1970er- und -80er-Jahren wurden Heimcomputer zumeist mit männlichen Kindern und Jugendlichen assoziiert. In der Werbung für Hardware und Software sind Mädchen oft nicht vorhanden oder wiederum bloß schmückendes Attribut. Wenn Mädchen dort einmal auftauchen, dann nur um das Klischee zu bestätigen, dass Computer(spiele) eigentlich etwas für Jungs sind.
Diese Abwesenheit geht so weit, dass sich daraus regelrechte Klischees über männliche Computernutzung entwickelt haben: der Nerd, der sich zwischen „Mädchen oder Computer“ fürs letztere entschieden hat und als bleicher, pickliger Jüngling fernab vom „richtigen Leben“ in seinem Hobbykeller sitzt und mit seinem Computer herum spielt. Seine Beziehung zum anderen Geschlecht wird nicht als erfahrungs-, sondern als medienbasiert behauptet. Statt einer Freundin hat er Playboy-Hefte unterm Bett und spielt „Sex Games“ oder „Samantha Fox Stip Poker“ auf seinem C64 und nutzt Aktbilder als Desktop-Hintergrund für seine(n!) Amiga. Dass die Abwesenheit realer Frauen damals in ihrer virtuellen Imaginierung als Medien-Objekte gipfelt – oft spärlich bekleidet, auf ihre Geschlechtsmerkmale hin reduziert und bildlich „zerstückelt“ oder eben als Lockmittel für den einsamen Computernerd, den man als Käufer gewinnen will –, gehört zu den Klischees, die wir alle von damals zu Genüge kennen.
Viele Retrocomputing-Hobbyisten sind heute verheiratet, haben selbst Kinder und entsprechen dem Klischee des “notgeilen Nerds” nun noch weniger als damals. Und wenn man sie fragt (wie in einem der obigen Facebook-Kommentare), ob sie sich vorstellen können, dass es sich bei der abgebildeten halb(nackt)en Frau um ihre Ehefrau oder Tochter handeln könnte, reagieren sie pikiert, denn die Vorstellung gefällt ihnen gar nicht, dass ein solcher weiblicher Körper mehr sein könnte als bloß eine Projektionsfläche für sexuelle Fantasien von Homecomputer-Nerds.
Ein Kerninteresse des Retrocomputings sollte die lebendige Vermittlung von Computergeschichte sein – ihren positiven und ihren negativen Aspekten. So, wie wir unseren Kindern erklären, dass es früher schon Debatten darum gegeben hat, ob Computerspiele gefährlich für Kinder sind, ob die Computerisierung Arbeitsplätze gefährdet und ob Computer nicht versehentlich den Dritten Weltkrieg auslösen könnten, sollten wir ihnen auch vermitteln, dass in der Computergeschichtsschreibung ein unrealistisches und problematisches Bild der Geschlechter vermittelt wurde, bei dem Frauen nicht selten zu Lustobjekten degradiert wurden. Computergeschichte sollte für Jungs und Mädchen, für Frauen und Männer aufbereitet werden. Das lässt sich allerdings kaum glaubwürdig dadurch vermitteln, dass man ihre Fehler einfach wiederholt anstatt sie kritisch zu reflektieren. Ein geeigneter Lackmus-Test hierfür wäre es, den eigenen Kindern einmal Computerwerbung aus den 1970ern, wie die oben beschriebene, zu präsentieren und ihre Fragen dazu ehrlich zu beantworten.