Ein Wirtschaftsfilm von Herbert Achternbusch

Ab nach Tibet! (D 1994, Herbert Achternbusch) (VHS)

Der Film beginnt, wie „Mix Wix“ endet: Hick sitzt auf dem Dach eines Hauses in der Münchner Innenstadt. Unten wird gerade eine Stadtführung für Tibetaner veranstaltet, in der die Stadtführerin München als Ort den Kulturraubes darstellt. Hick ist von Beruf Schornsteinfeger. Seine Familie will nichts von ihm wissen. Seine Frau, die Professorin und Nonne in einer katholischen Mädchenschule ist (im Klassenzimmer steht ein gekreuzigter Asylbewerber, „damit er nicht abgeschoben wird“) und seine Tochter Su, die Schriftsteller-Ambitionen hat, leben zusammen mit einem Untermieter. Dieser hat es auf Su abgesehen, sie entschließt sich jedoch, als die Kirchensteuer abgeschafft und die Mutter von Arbeitslosigkeit bedroht wird, mit ihrem Vater nach Tibet zu gehen. In einer langen Sequenz im einer Schankwirtschaft (Achternbusch überschreibt deswegen „Ab nach Tibet“ mit „Ein Wirtschaftsfilm von Herbert Achternbusch“) bekennt sich Su zu ihrem Vater – mehr noch: gibt zu, ihn zu lieben und ihm überall hin als sein Schatten zu folgen. In einer langen Traum- oder Erinnerungssequenz wird beschrieben, wie Hick die Kleidung seiner Frau und Su den lästigen Untermieter loswerden. Es gibt eine Schießerein im Englischen Garten (die wiedereinmal zu keinem Ergebnis, vor allem keinem Toten führt) und Hick und Su sind frei.

Dann folgt ein zweiter, etwa dreiviertelstündiger Teil, der mit „Die letzte Illusion“ betitelt ist und den Untertitel „Ein Autorenfilm von Herbert Achternbusch“ trägt. Hick und Su (als sein Schatten) sind in Tibet angekommen. Sie assimilieren sich dort unter den Gläubigen, doch Hick wird für seine Su immer unnahbarer. Schließlich droht sie, die mittlerweile als chinesische Schattenspenderin hinter ihm herläuft, ihn zu verlassen. Sie erzählt die Geschichte von Hick, der den Namen „lachender Fluss“ trägt und immer schon in Tibet ist.

Es ist vor allem die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus, die „Ab nach Tibet!“ bestimmt. In kaum einem anderen Achternbusch-Film findet sich eine derartig intensive ästhetische Annäherung an diesen Glauben oder das, was der Regisseur daraus in sein Weltbild importiert hat. Ein intensives Spiel mit Farben, mit Musikstilen und endlosen Sequenzen und Plansequenzen voller Monologe bestimmt den Charakter von „Ab nach Tibet!“ Dabei ist der Film keineswegs theistisch: „Wer an Gott glaubt, den wird der Teufel holen“, spottet Hick und allein der gekreuzigte und mit den BHs der Schülerinnen behängte Schwarze im Klosterschulen-Klassenzimmer und der Striptease Annamirl Bierbichlers, die nach „Das Gespenst“ wieder eine Nonne spielt, zeigen abermals, wie Achternbusch zum Katholizismus steht.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.