Raus aus der Zone

Eastern Promises (UK/Can/USA 2007, David Cronenberg) (DVD)

Es ist schon erstaunlich, wenn man sich den Werdegang David Cronenbergs anhand seiner Filmografie anschaut: begonnen mit überaus verkopften, introvertierten Science-Fiction-Stoffen, in der Hochphase der 1970er und 1980er Jahre Horrorfilme mit einer Mixtur aus medienphilosophischen Positionen und krassen Gewaltdarstellungen, dann, in den 1990ern beinahe schon ein Rückzug in psychopathologische Sujets, Filme über Sexualität und Perversion, Protagonisten, die an ihrer Lust/Devianz zugrunde gehen. Und eine abermalige Wende mit „A History of Violence“ und nun „Eastern Promises“, Filmen, die auf den ersten Blick so weit entfernt vom bisherigen Oeuvre Cronenbergs stehen, dass man meinen könnte, sie gehörten gar nicht dazu.

Und doch lassen sich nicht nur einzelne Grundmuster in diesen beiden Filmen wiederfinden, die bei Cronenberg schon immer Thema waren (vor allem sind dies Gewalt, Familie und Identitätsstörung/-findung), sondern in all ihrer „Normalität“ (verglichen mit dem vorherigen Werk), sind sie auch ziemlich konsequent, wenn man sie als einen weiteren Schritt in Richtung einer philosophischen Progression sieht – einer Thematisierung von Räumlichkeit, die vor allem in „Eastern Promises“ nun an einem Punkt, der endlich überwundenen Distanz, der unendlichen Nähe angekommen ist. Ich habe verschiedentlich versucht die Raumkonzepte in Cronenbergs Filmen als Enwicklung einer Theorie bzw. jeden Film als eine alternative Perspektive auf eine These darzustellen: Raum ist bei Cronenberg immer auch metaphorisch kodiert als etwas, in dem die verschiedensten Aspekte des Lebens Ausdruck finden. Das beginnt schon mit der obskuren Nähe der beiden Männer in der Badewanne von „From the Drain“, wird ganz konkret in der sozialen/urbanen Isolation des Hochhauses in „Shivers“, gerät in die mediale Kodierung der distanzüberbrückenden „Scanner“-Fähigkeit und Teletransportation in „The Fly“ und bekommt in „A History of Violence“ schließlich eine sozial-experimentelle Richtung: Gewalt dringt in das Private ein und um dieses Private zu schützen bzw. zu re-etablieren muss die Identität gewechselt und eine Reise unternommen werden. Monomythisch.

„Eastern Promises“ variiert das nun ein weiteres Mal. Denn hier sind die zuvor geografisch weit voneinander entfernten Sphären von Frieden und Gewalt aus „A History of Violence“ im Schmelztigel der Großstadt London ineinander übergegangen. Es sind nur wenige Straßenzüge, die die geordnete, bürgerliche Welt Annas und ihrer Familie von der barbarischen, gefährlichen Sphäre der Russenmafiosi Semyon, Krill und Nicolai trennen. Gewalt ist hier abermals das Medium, das diese so unterschiedlichen Familiengeschichten aneinander koppelt. (Das war schon in „The Brood“ so.) Und wie in „A History of Violence“ wird diese Gewalt schnell als ein destruktiver Faktor erkannt, der der Existenz, ja, sogar dem Prinzip Familie diametral entgegensteht. Nur gibt es in „Eastern Promises“ eine dritte Variable, die – wie in „A History of Violence“ – mit einer Scheinidentität zu tun hat. Abermals ist es Viggo Mortensen, der ein „zweites Gesicht“ trägt, weil er als verdeckter Ermittler in die Mafia-Familie eingedrungen ist, um sie krebasrtig und ebenfalls mittels Gewalt von innen her aufzulösen. Doch er ist ebenso der Faktor, der für die Familie Annas zur Bedrohung wird, weil sein „zweites Gesicht“ eben nicht zu erkennen ist.

Die Konventionalität, mit der Cronenberg hier einen scheinbar melodramatischen Mafia-Thriller erzählt, ist schon fast erschrekcned. Jedes Bild, jeder Dialog scheint für das zu stehen, was er ist. Das ist selbst nach „A History of Violence“ neu in dieser seltsamen Eindeutigkeit. Jeder Anflug von Verstörung, jede scheinbare Lücke im Plot wird nach und nach geglättet, gestopft und zu einem Bausten des Happy-Ends geformt. Darin mag man vielleicht die größte Verstörung überhaupt sehen, weil man so viel Normalität von Cronenberg nicht erwartet. Das Schlussbild zeigt jedoch, dass die Normalität hier in Normopathie gemündet zu haben scheint. Der Doppelagent hat sich im Showdown für eine Seite, einen Raum entschieden (nachdem er bereits zuvor verkündet hatte, bislang in einer „Zone“ gelebt zu haben, die auf keiner Seite, sondern immer nur „dazwischen“ lag) und sitzt am Ende in dem Restaurant des Mafia-Paten ganz so, wie dieser zuvor und schaut mit gesenktem Blick nach vorn in seine nun bestimmte Zukunft:

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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