Filmfest München – Tag 4

Ursprünglich wären es vier Filme gewesen, dich ich gestern gesehen habe. Aber aus Francis Ford Coppolas „Youth without Youth“ hat es mich nach einer Stunde fremdschambedingt hinaus getrieben. Also ein reiner Achternbusch-Tag, und dieses Mal sogar einer mit einem Thema:

Die Atlantikschwimmer (D 1975, Herbert Achternbusch)

Das Kaufhaus Mixiwix (der Referenzkosmos wird immer enger!) hat einen Preis für denjenigen ausgelobt, der den Atlantik schwimmend überquert. Briefträger Heinz (Braun) und Bademeister Herbert (Achternbusch) entschließen sich zu dem wagemutigen Projekt; Herbert bringt Heinz zunächst das Schwimmen bei und begibt sich dann mit ihm an die Atlantikküste. Zwischendrin lernt Heinz den Toilettenpapier-Verkäufer Alois kennen und entwickelt mit ihm die Geschäftsidee, Klopapier mit Gedichten zu bedrucken. Das Schwimmprojekt gerät dadurch zusehends in Gefahr – und als Herberts Identifikation mit der eigenen verstorbenen Mutter dazu führt, dass er fortan in Frauenkleidern umher läuft, scheint das Chaos komplett. Doch am Ende steigt einer in den Atlantik. „Wir haben keine Chance. Also nutzen wir sie!“ Mit diesem Satz beginnt und endet der Film, der aus seiner Struktur eine merkliche Parabel auf die Situation des Deutschen Films Mitte der 1970er Jahre ausschwitzt. Das Auf und Ab, Hin und Her, Scheitern und Gewinnen der Autorenfilmer ist zu jener Zeit Thema einiger Beiträge des Neuen Deutschen Films. Achternbusch liefert eine humoresk verklausulierte Variante, die sich nicht nur einmal mehr über die Situation des Künstlers in Deutschland mokiert, sondern diesen auch als Traumtänzer und Egomanen charakterisiert. In einer Gastrolle ist Margarethe von Trotta zu sehen.

Servus Bayern (D 1977, Herbert Achternbusch)

Schriftsteller Herbert (Achternbusch) hält es in Bayern nicht mehr aus. Ihm ist dort emotional so kalt geworden, dass er es vorzieht nach Grönland auszuwandern, um sich dort wieder aufzuwärmen. Sein Vorhaben macht er öffentlich, so dass sich der Bayrische Rundfunk dafür zu interessieren beginnt und ein Kamerateam (sehr schön: das Dreh-Team von „Servus Bayern“ findet sich vor der Kamera ein) vor Ort schickt um ihn zu interviewen. Überdies nimmt Weiberheld und Wilddieb Herbert auch Abschied von den vielen jungen Frauen – und der einen verschmähten Geliebten (Annamirl Bierbichler), deren Bruder (Sepp Bierbichler) Wildhüter ist, welcher das Treiben Herberts schon seit langem argwöhnisch verfolgt. Er nimmt zusammen mit dem BR-Korrespondenten die Verfolgung Herberts nach Grönland auf, wo es zum Showdown kommt. „Servus Bayern“ ist zuallererst eine Persiflage auf das Künstlertum, dann erst auf die Situation der Kunst in Deutschland/Bayern. Achternbusch zeichnet seine Herbert-Figur als absoluten Egomanen, als Vampir, der seine soziale Umgebung aussaugt, um deren Geschichten zu seinen eigenen zu machen. Am meisten trägt darunter die ihn liebende Annamirl Leid. In einer grandiosen und überaus intensiven Monolog-Plansequenz von 17 Minuten Länge (Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein) schüttet sie ihm ihr Herz aus, philosophiert über die Kunst und das Künstlertum und versucht sich vergeblich mit all ihrer Körperlichkeit in den filmischen Raum einzuschreiben. (s. u.) Allein diese Sequenz hebt „Servus Bayer“ für mich in den Pantheon des Achternbusch’schen Werks. Aber auch etliche andere Sequenzen (die Kamera erzählt hier überaus viel und eloquent) lassen die Einsamkeit und Verzweiflung aller Beteiligten spüren. Der Klamauk, den Achternbusch als Kontrast gegenüberstellt (einmal lässt er seine Herbert-Figur die Gamsbärte einiger an der Schankwirtschaft-Garderobe hängender Hüte anzünden, woraufhin ein Gast die Brände löscht und die Aktion lakonisch mit „Geh, des dorfst doch net mache!“ kommentiert), wirkt geradezu heilsam angesichts der Intensivität vieler Momente des Films.

Annamirl Bierbichler in \"Servus Bayern\"

Rita Ritter (D 1984, Herbert Achternbusch)

Nur knapp hat es dieser Film noch in mein Programm geschafft – ich bin jedoch froh, ihn nicht ausgelassen zu haben, weil er einige Klarheiten und Neuheiten bereithält. Zunächst die Besetzung: Achternbusch selbst ist – bis auf in einem ganz kurzen Cameo gegen Ende – gar nicht vor der Kamera zu sehen. Dafür hat er zum ersten Mal Profis gecastet: Barbara Valentin, Eva Mattes, Armin Müller-Stahl sind zu sehen. In der Hauptrolle spielt Annamirl Bierbichler den erfolglosen Drehbuchautoren Rita, der mit seinen Arbeiten regelmäßig auf die Ablehnung des Bayrischen Runfunks stößt. Schließlich heiratet er die Programmverantwortliche (Valentin) und lebt eine glücklose Ehe mit ihr. Das alles fassen die ersten 15 Minuten des Films zusammen. Auf der Münchner Hacker-Brücke trifft Rita schließlich Armin Müller-Stahl, der ihm mitteilt, dass eines seiner Theaterstücke, nämlich „Susn“ (Referenz! Referenz!), in Paris aufgeführt wird und Rita einlädt, an der Premiere teilzunehmen. Im Theater selbst erlebt Rita eine Begegnung mit der eigenen Lebensgeschichte – unter anderem auch ein „Wiedersehen“ mit der Jugendliebe Rita, deren Namen er angenommen hat. Die Darstellerin, die die Rita spielt, wird von ihm schließlich für die echte gehalten, es kommt zu einem Treffen, an dem beide intensiv Erinnerungen austauschen und sich Liebe schwören. Am Ende stehen beide auf der Hacker-Brücke und verwünschen Deutschland, Bayern, das Mittelmeer, die Jugend und vieles andere. Der zentrale Diskurs des Films, abermals das Künstlertum, wird hier auf interessante Weise an die Künstlerbiografie gekoppelt. Berufliches und persönliches Scheitern sind identisch. Dass die Kunst das Leben nicht nur imitiere, sondern sich mit ihm decke, wird schließlich auch die Erkenntnis, die beim Wiedersehen der beiden Ritas, die ja beide nur die Rolle einer Rita spielen, zentral ist. Dass Annamirl Bierbichler die Rolle Achternbuschs übernimmt, transponiert das Thema auf eine weitere Meta-Ebene.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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