Filmfest München – Tag 3

Dangerous Parking (GB 2007, Peter Howitt)

Ein „Lebensfilm“ über den Independend-Filmemacher Noah Arkwright, der nach einem exzessivem Leben mit Drogen, Alkohol und Sex einsieht, dass es so nicht weitergeht und sich in eine Entziehungsklinik begibt. Als trockener Alkoholiker versucht er sein Leben neu zu ordnen, unterliegt jedoch ständig den alten Versuchungen. Dann lernt er die Liebe seines Lebens kennen und gründet mir ihr eine Familie. Sein alter Lebensstil holt ihn jedoch in Form von Blasenkrebs wieder ein und nun muss sich Arkwright erstmals Sorgen nicht nur um sich selbst machen. Die Tragikomödie erzählt überaus geschickt montiert Episoden aus dem Leben des Protagonisten, greift vor und zurück und führt schon anfangs Schlüsselsequenzen vor, die erst durch die spätere Wiederholung ihren Sinn in der Erzählung finden. Das an Filme wie „Momento“ oder „Train Spotting“ erinnernde, bildhafte Erzählverfahren findet jedoch ein jähes Ende, als im letzten Viertel der tragische Anteil der Geschichte zu dominieren beginnt. Ich habe es schon bei Friedkins „Bug“ schade und inkonsequent gefunden, den Plot derartig die übrigen Ästhetiken uspurieren zu lassen – hier ist es nicht weniger ärgerlich. Wo steht eigentlich geschrieben, dass Geschichte vom Tod linear, ruhig und schnörkellos inszeniert werden müssen?

Die Föhnforscher (D 1985, Herbert Achternbusch)

Abermals ein Film, der sich auch um die Themen atomare Rüstung und drohender Atomkrieg dreht: In einer Kirche hat die bayrische Staatsregierung eine eigene Atomrakete, die „Herching II“ stationiert, um für den Ernstfall gerüstet zu sein. Der angrenzende Jammersee wurde dabei verstrahlt. Dies ist jedoch nur der Aufhänger für eine in den ersten drei Vierteln des Films stattfindende Auseinandersetzung um die so genannten „Föhnforscher“. Achternbusch kombiniert hier mit Super-8 gefilmte Erinnerungsfragmente (mit Off-Kommentar), theatreske Gruppenszenen in einem Haus – und später am Strand des Jammersees – und eine „Bildergeschichte“, in der er etliche Aquarelle, die er auf Zeitungspapier der SZ gemalt hat, zu einer Fiktion um eben jene Föhnforscher montiert – Wissenschaftler, die Sinn und Frieden stiften sollen, dabei jedoch von den „Arschlöchern“ bzw. „Bayern“ auf jede erdenkliche Weise sabotiert werden. Abseits von der etwas skurrilen utopischen Erzählung ist Achternbuschs Film vor allem abermals eine Polemik gegen den damaligen Innenminister Zimmermann, dem gleich im Choral Tod und Pestilenz an den Hals gewünscht wird. Auffällig hier wie auch schon in anderen Achternbusch-Filmen ist wieder das beinahe schon liebevoll spinnerte Bild der Polizei. Sicherlich einer der sperrigsten Filme des Regisseurs (bisher).

Das letzte Loch (D 1981, Herbert Achternbusch)

Der Film, bei dem Achternbusch nachträglich die Filmförderung entzogen wurde. Nach „Das Gespenst“ wohl der intensivste und gleichzeitig „konzentrierteste“ Stoff des Regisseurs: Nil (Achternbusch) ermordet weibliche Kneipenbedienungen mit dem Namen Susn. Deshalb wird er von zwei Polizisten gesucht. Bei der Verhaftung erschießt der eine Polizist versehentlich den anderen und flieht deshalb mit Nil und dessen „letzter Susn“ nach Stromboli. Dort wollen sie zu dritt untertauchen. Das Thema des Films, das sich dem „Krimiplot“ immer wieder unterschiebt, ist der Umgang der Deutschen mit dem Holocaust und dessen Vergessen. Die 6 Millionen toter Juden treiben Nil um, lassen ihn im Alkohol Vergessen suchen, das er jedoch nie findet. Der Versucht kulminiert in einer Sequenz bei einem Arzt, der Nil 30 Hektoliter Schnaps verschreibt, weil je 2 cl einen Juden vergessen machen. Eine überaus absurde Arithmetik, die jedoch den von Achternbusch als zwanghaft wahrgenommenen Versuch der Verdrängung gekonnt persifliert. „Das letzte Loch“ ist damit einer der ernsteren Filme des Regisseurs und auch die Darstellerischen Leistungen – allen voran abermals Annamirl Bierbichlers und Franz Baumgartners – zeugen davon.

Neue Freiheit – Keine Jobs (D 1998, Herbert Achternbusch)

Achternbuschs bislang vorletzter Film erzählt für die Maßstäbe des Regisseurs ungewöhnlich kohärent von einer Protestaktion gegen Helmut Kohl: Hick (Achternbusch) lebt als Obdachloser in einem kleinen Park in der Nähe des Münchner Marienplatzes. Eines Tages malt er ein Schild, auf dem er das Verschwinden Kohls fordert. Die Polizei, die bald auf die Aktion aufmerksam wird, nimmt ihm das Schild ab und hält es nun selbst hoch. Während der Nacht der Protestaktion tauchen verschiedene Passanten vor dem Schild auf und kommentieren es. Eine Frau berichtet dabei von der Entstehung der Arbeitslosigkeit und des Systems Kohl schon während der Steinzeit. Dazu werden eine Horde Urmenschen gezeigt, die mit aller Kraft versuchen, Innovationen zu verhindern, weil diese der Anfang allen Übels sind. Am nächsten Morgen ist Kohl tatsächlich verschwunden und Hick nimmt sich nun vor, nach Amerika zu gehen, denn dort können man vor dem Elend in die Weite fliehen, während Deutschland so eng sei, dass man vor dem Elend nur die Augen verschließen kann. So verzerrt wie in „Neue Freiheit“ war das Bild der Polizei noch in keinem der bislang von mir gesehenen Achternbusch-Filme.

Hick’s Last Stand (D 1990, Herbert Achternbusch)

Acht Jahre bevor sich Hick vorgenommen hat, nach Amerika zu gehen (s. o.), kommt er dort an. „Hick’s last Stand“ ist ein Reisetagebuch in Briefform, vorgetragen von Achternbusch aus dem Off. Er erzählt darin seiner daheim gebliebenen Mary von seinen sexuellen Ausschweifungen, seinem Alkoholkonsum, seinem Hass gegen ihren Bruder, der Gewalt, Liebe und Eifersucht, der er in der Beziehung mit ihr ausgesetzt gewesen ist. Währenddessen zeigen uns die Bilder berückend schöne Landschaften und Wolkenformationen, abwechselnd mit endlosen Einstellungen vorüber fahrender Trucks und Sattelschlepper. Die ganze Schönheit der amerikanischen Natur kollidiert hier mit all der Hässlichkeit ihrer Kultur. Zwischendrin Hick, der als Indianer verkleidet, den Hass gegen alle Weißen und insbesondere die Deutschen erklärt und sich damit als Rassist definiert. Vieles in „Hick’s last Stand“ hat mich an die Filme James Bennings erinnert, auch wenn die Kamera niemals ruhig bleibt, weil sie viel zu verzückt von den sich ihr bietenden Ansichten ist. Und dennoch ist es gerade der Kontrast zwischen Schönheit und menschlicher Verformung, der sich in den Bildern und in Hicks Ausführungen niederschlägt, der mir diese Ähnlichkeit wachgerufen hat.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Festival-Tagung-Messe, Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.