Filmfest München – Tag 1

Surveillance (USA 2008, Jennifer Chambers Lynch)

David Lynchs Tochter hat ihren zweiten Spielfilm gedreht. Nach dem „Boxing Helena“-Desaster schafft es „Surveillance“ zwar immer noch nicht, sich ganz von den Ästhetiken des Vaters zu lösen, geht die Grundmotive jedoch schon einmal ganz anders an. Auch hier werden die Polizei und das FBI (wie in „Blue Velvet“ oder „Twin Peaks“) zu Protagonisten des Mystischen erklärt, jedoch ändert sich die Farbe von Weiß zu Schwarz. Was den ersten, etwa dreiviertelstündigen sehr guten Eindruck des Films aber (zer?)stört, ist der Plottwist, der die Paradigmen der Erzählung völlig umkehrt. Problematisch ist das auch nur deshalb, weil sich damit auch die Art des Thrillers (man könnte sagen von einer „Rashomon“- in eine „Wild at Heart“-Konstruktion) verschiebt. Dennoch ein im positivsten Sinne unangenehmer Film.

Blaue Blumen (D 1985, Herbert Achternbusch)

Der Auftakt zu meiner Achternbusch-Retro ist schon etwas sperrig. Das ist gut so, weil es auf das danach folgende perfekt vorbereitet. Achternbusch greift in seinem Super-8-Filmessay über China und die Beziehung seines (von ihm gesprochenen) deutschen Off-Kommentators (der dem Regisseur in vielem ähnelt) nicht wenige Ideen von Chris Markers „Sans Soleil“ auf. Die Stoßrichtung ist freilich eine ganz andere: Eine Abrechnung mit Deutschland, dem Begriff von „Heimat“ und speziell der deutschen Kultur, die zwei Jahre zuvor ein unglaubliches Brimborium um Achternbuschs „Das Gespenst“ veranstaltet hat, scheint der Tenor des Films zu sein. Nebenher wird die Geschichte eines Aussteigers erzählt, der zunächst plant, in China zu sterben, dann jedoch in 15 Jahren wiederzukehren, um dort eine dann 20-Jährige zu heiraten. Dementsprechend viele Aufnahmen chinesischer Kinder werden in „Blaue Blumen“ gezeigt – verbunden mit nicht wenigen Novalis-Zitaten.

Der junge Mönch (D 1978, Herbert Achternbusch)

Ein Film, der in meinem (im August in epd erscheinenden) Text über postnukleare Endzeitfilme gut hineingepasst hätte: Nach einem Atomkrieg ist von der Stadt München nicht viel mehr übrig als ein Ödnis voller Geisiere und heißer Quellen und ein noch recht intakter Vorort. Dort lebt Herbert mit seiner Frau (?) und ist kurz vor dem Verhungern. Eines Tages findet er auf dem Kirchfriedhof einen Schokoladen-Osterhasen und beschließt, dass dieser der Gott einer neuen Gesellschaft werden müsse. Schon bald finden sich weitere verstreute Überlebende im und um das Haus Herberts ein und mit einem von ihnen geht er auf eine Missionsreise, um den neuen Glauben zu verbreiten und eine Frau für sich zu finden, die den Sohn Gottes austragen wird. Ein überaus absurdes und zutiefst blasphemisches Werk voller Invektiven gegen die Kirche, die (bairische) Gesellschaft, die CSU und den common sense überhaupt. Achternbusch changiert hier wie in etlichen seiner Filme tiefgründige philosophische Reflexionen mit klamaukhaften Dialogen. Eine zentrale (prä-apokayptische) Traum-Sequenz wirkt wie eine Zusammenfassung des Achternbusch’schen Oeuvres.

Der Neger Erwin (D 1981, Herbert Achternbusch)

Dass Achternbusch sich hier wieder einmal selbst und als Filmregisseur spielt, verleiht dem „Neger Erwin“ gleich einen ironisch-selbstreflexiven Gestus: Aus der Haftanstalt entlassen kehrt er zurück in das Wirtshaus „Zum Neger Erwin“ dessen Namensgeber er einmal war. Schwarz angemalt, angekettet soll er als Maskottchen in einer Hundehütte vor dem Lokal gelebt haben. Seine Freundin, die Gastwirtin Susn, hat zusammen mit ihm seinen Afrika-Traum mit Hilfe eines Tierparks verwirklicht. Von diesem sind nun nur noch ausgestopfte Tiere und ein krankes Nilpferd übrig. In der Wirtsstube, wo gerade per Armdrücken ein neuer „Neger“ für das Wirtshaus auserkoren werden soll, versucht Achternbusch seine Filmambitionen neu aufleben zu lassen, veranstaltet Probeaufnahmen (ohne Kamera), Vorsprechen und Stuntszenen. Ein überaus heiterer, wenn auch (etwa dann, wenn es auf die Filmsituation in Deutschland zu sprechen kommt) nicht selten sarkastischer Film ist „Der Neger Erwin“ geworden, der den alltäglichen Rassismus (schon der Sprache) ebenso persifliert wie die „Gemütlichkeit“ und „Heimatverbundenheit“, gerade wenn diese durch Bier erzeugt und unterfüttert wird. Dass Achternbusch hier wieder gleichzeitig Kritiker und Apologet der bayrischen Lebensweise ist, macht seine Filme – und auch diesen – so besonders reizvoll ambivalent.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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