Wo »ich« war muss »es« werden

Die Verwandlung (BRD 1975, Jan Nemec) (VHS)

Vor dem Hintergrund der Erzählperspektive und der medienspezifischen Point-of-View-Strategien wird der Vergleich zwischen Literatur und filmischer Adaption doch noch einmal interessant. Gerade Nemecs Fernsehfilm leistet hier einiges – geboren aus der puren Not und der „Rücksicht auf die Darstellbarkeit“: Den Käfer bekommen wir nie zu Gesicht, aus der Ego-Perspektive sind jene Szenen gefilmt, in denen er die Erzählinstanz oder der adressierte Antagonist wird. Das koinzidiert insofern mit der Erzählung Kafkas, als auch sie selbst eine Mischung aus Ich-Erzählung und erlebter Rede bildet.

Der Film konzentriert sich vor allem auf zwei Motive, die in der Erzählung zwar schon angelegt sind, dort jedoch eher beiläufig behandelt werden: Das Essen und die Sexualität. Beides ist im Film bis ins Groteske verzerrt und kehrt die eigentlich komischen (bzw. grotesken) Momente der Erzählung hervor. Die Figuren benehmen sich bei Tisch „wie die Tiere“ und sind Gregor Samsa damit eigentlich schon zum verwechseln ähnlich. Und wenn sein in der Erzählung zum Ende hin geäußerter Wunsch nach „Vereinigung“ mit der Schwester bereits reichlich bizarr anmutet, dann sind es die in den unterschiedlichsten und unpassendsten Situation übereinander herfallenden und sich aneinander reibenden menschlichen Protagonisten des Films erst Recht.

Die zunehmende Verdinglichung, die sich vom Anfang bis zum Ende der Erzählung verabsolutiert (die Putzfrau nennt den toten Gregor-Käfer schließlich „das Zeug“), weicht im Film einer von vornherein als tierisch dargestellten Bürgerlichkeit, in der Gregor nur die passende Form gefunden zu haben scheint, während die übrigen Figuren noch nach ihr suchen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort zu Wo »ich« war muss »es« werden

  1. Pingback: SimulationsRaum » Blog Archive » Der Proceß der Literaturverfilmung in der Kulturgeschichte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.