Fantasy Filmfest Nights 2008

Der erste Abend verging wie im Flug, was wohl auch am abwechslungsreichen Programm gelegen haben mag:

Time Crimes (Los Cronocriménes, Spanien 2007, Nacho Vigalondo)

Ein Mann beobachtet, wie sich in einem Wald in der Nähe seines Hauses eine Frau entkleidet. Er geht zu ihr, sieht sie bewusstlos auf dem Boden liegen und wird von einem mit Mullbinden Vermummten attackiert. Panisch flieht er in ein nahe stehendes Gebäude und wird dort von einem Wissenschaftler aufgegriffen, der ihm anbietet, ihn in einem Tank vor seinem Verfolger zu verstecken. Kurz nachdem sich der Tankdeckel schließt, gibt es einen Blitz und der Verfolgte findet sich eineinhalb Stunden in die Vergangenheit zurück versetzt – der Tank war offenbar Bestandteil einer Zeitmaschine und er unfreiwillige Testperson des Wissenschaftlers. Er verlässt das Labor und sieht sein vergangenes Selbst durch ein Fernglas in seinem Garten sitzen. Weil er will, dass es ihn nur einmal gibt, zwingt er den Wissenschaftler, das Experiment zu wiederholen, gerät kur darauf in einen Autounfall, zieht sich eine Platzwunde am Kopf zu, umwickelt seinen Kopf mit Mullbinden und entführt eine junge Frau, die er zwingt, sich im Wäldchen in der Nähe seines Hauses zu entkleiden, um sein vergangenes Ich anzulocken … Wer den Autounfall verursacht hat, der zu der Kopfwunde geführt hat, ist da schon fast kein Geheimnis mehr.

„Time Crimes“ ist ein interessant konstruiertes Zeitreise-Experiment, das sich nicht nur der Frage der vermeintlichen „Logik“ von Zeitreisefilmen widmet, sondern gleichzeitig auch die (hier konfligierenden) Zeitphänomende des Films (Produktionszeit, gefilmte Zeit, Filmzeit bzw. Rezeptionszeit) in Augenschein nimmt. Der Mann wird schließlich zum Zuschauer seines eigenen Lebensfilms, den er, je öfter er ihn „wiederholt“, aus einer sich immer stärker elaborierenden Perspektive wahrnimmt. Sein Wunsch ist es, zum totalen Zuschauer zu werden, der (endlich) genauso viel weiß, wie der Erzähler. Doch dazu müsste erst einmal geklärt werden, worin die Ursünde des Filmischen liegt: nämlich in der Montage. Am Anfang sehen wir den Mann auf seinem Bett sitzen und nach ein paar seltsamen Jump Cuts wieder aufstehen. Schon da ist er eigentlich das Opfer einer Zeitreise geworden.

Diary of the Dead (USA 2007, George A. Romero)

George A. Romero hat sich noch einmal für seine Untoten hinter die Kamera gestellt und den fünften Teil seiner Saga gedreht. Er erzählt die Geschichte aus Night-Dawn-Day-Land jedoch nicht weiter, sondern erneut und aus anderer Perspektive. Die Zombie-Seuche bricht im YouTube-Zeitalter aus, während eine Hand voll Filmstudenten gerade einen Mumien-Film drehen. Sie fliehen vom Drehort, gelangen aber in eine im Chaos versinkende Welt. Romero versucht das Zombie-Thema hier „medial aufzubereiten“, indem er der „unerhört demokratischen Gemeinschaft der Gleichen“ (Baumann) die unerhört demokratischen Medien des Web2.0 gegenüberstellt. Der sozialkritische Impetus seiner Vorgänger wird in „Diary“ dadurch eingeholt und aktualisiert. Romero lässt seine Protagonisten vom Weltuntergang ungekürzt, zeitnah und aus nachvollziehbarer Perspektive berichten. Heraus kommt dabei ein herrlich disparat wirkender Film, der seine Story nur dazu benutzt, die Grundidee durchzudeklinieren und dabei möglichst viele „demokratische Medien“ (Handycams, YouTube-Clips, gekaperte Überwachungskameras, …) zu inszenieren. Leider vergisst er dieses Projekt im letzten Viertel dann wieder, wird „erzählerisch“ (was bis hin zu solchen One-Linern wie „Behalte du das Haus, ich nehme das Auto.“ – die Szene wird sich beim Sehen selbst erklären! – reicht) und schließlich sogar moralinsauer. Das „I wonder who the real cannibals are“ aus „Cannibal Holocaust“ hat man seit Ende der 1970er Jahre doch nun wirklich begriffen. Aber so ist er halt, der Romero.

Doomsday (UK/USA/Süd Afrika 2008, Neil Marshal)

Was hätte es für ein schöner Anschluss an „Diary of the Dead“ werden können. Ein tödliches Virus befällt Menschen in Schottland, breitet sich rasant aus und nur noch die Totalabriegelung des Landes hindert es an der Verbreitung. 30 Jahre später hat sich das Problem scheinbar selbst erledigt – keine Lebenszeichen sind mehr in Schottland wahrzunehmen. Da tauchen Infektionen im Herzen des überbevölkerten Londons auf. Zufälligerweise entdeckt man auf einem Satellitenbild, dass es in Glasgow doch noch Menschen gibt, die dann wohl immun sein müssen. Eine Elitetruppe wird nach Schottland geschickt, um einen Arzt zu finden, der kurz nach der Abriegelung des Landes in Funksprüchen angedeutet hat, eine Heilung gefunden zu haben. Was folgt, nachdem sich die Schotten zu Schottland hinter den Engländern schließen, ist ungeheuerlich.

Der Drehbuchautor von „Doomsday“ verachtet sein Publikum scheinbar derartig, dass er ihm ohne mit der Wimper zu zucken plagiierte Versatzstücke aus allen bekannten Endzeitfilmen der letzten 20 Jahre vorsetzt. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, den Film zu kritisieren, so viel spinnerte „Ideen“ finden sich darin. Für den einen mag die kannibalische Post-Nuke-Punk-Bewegung in Glasgow nebst ihrer allabendlichen Tanzkonzerte zu Gassenhauern der 1980er Jahre schon der Gipfel sein. Andere könnten den Kinosaal verlassen, wenn sie sich unversehens in einer Mittelalter-Kitschlandschaft mit Rittern und zynischen Arena-Kampfspielen wiederfinden. Und wenn die verbliebenen Elitesoldaten sich dann nach dem x-ten erfolgreichen Befreiungsversuch in einem über 30 Jahre unentdeckt gebliebenen Depot/Bunker einem tollen, windschnittigen Neuwagen gegenüber sehen, den der Film dann für eine völlig verworrene Mad-Max-2-Verfolgungsjagd (mit Musikbegleitung von Franky goes to Hollywoods „Two Tribes“!) einsetzt … vielleicht ist der Kinosaal dann schon leer. Zu wünschen wäre es dem Film und seinen Machern.

Frontier(s) (Frontière(s), Frankreich 2007, Xavier Gens)

Nach dem „Doomsday“-Fiasko konnte man angesichts der TCM-Adaption „Frontier(s)“ schon fast milde gestimmt sein. Das Konzept ist aus den Terrorfilmen der vergangenen Jahre bekannt: Eine Gruppe junger Leute fährt von der Stadt aufs Land (Hintergrund sind die riots in den Pariser Vororten, die die Kids, die im Trubel Geld gestohlen haben, Richtung Holland fliehen lässt). Ein Zwischenstopp in einem Motel entpuppt sich schnell als Fehler. Die Betreiberfamilie wird von einem alten Nazi angeführt, der eine Gruppe Wahnsinniger aber durchaus schlagkräftiger junger Leute um sich geschart hat, die ihn nun mit Frischfleisch versorgen. Nach und nach fallen die Reisenden den Barbaren zum Opfer, werden grausam gefoltert, getötet und verspeist. Dass es eine Überlebende geben wird, ist nicht nur eine Regel derartiger Filme, sondern leitet sich schon daraus ab, dass eine der Reisenden eine schwangere junge Frau ist. So jemand darf (außer in den Filmen D’Amatos) nicht geopfert werden.

„Frontier(s)“ ist ein recht dreister Film. Kein Detail wird ausgelassen. Die Menschenschlachtungen werden minutiös vorgeführt, die Folterungen in endlosen Sequenzen dargelegt. Der Plot fährt mit dem Zuschauer Achterbahn, lässt einzelne Opfer immer wieder entkommen, um sie dann doch wieder in die Arme ihrer Peiniger zu führen. Mehrere scheinbare Finalszenen wechseln einander ab, bis dann schließlich wirklich kein Bösewicht mehr übrig ist. Der Film ist von einer optischen Brachialität, die mir so noch nicht untergekommen ist. Der Splatter scheint wirklich nur noch quantitativ überbietbar zu sein. Schade nur, dass man ein solch fadenscheiniges Konstrukt wie den Nationalsozialismus als „Wurzel allen Übels“ herbeireden musste. Der Vater der Familie übt sich nicht nur in NS-Ideologie, er lässt auch gelegentlich Phrasen der Nazis einfließen: „Arbeit macht frei“, „Unsere Ehre heißt Treue“ verwoben mit hin und wieder gepfiffenem „Lili Marleen“-Liedchen – das ist wirklich zu einfach und zu albern, als dass es wirklich irgendwie bedrohlich sein könnte. Und wenn dem Nazi-Papa dann auch noch seine Phonetik entgleitet und aus dem Koppel-Spruch der SS ein „Unsere Ehre heißt Trö!“ wird, ja, dann erreicht der Film wirklich genau das Gegenteil, was er (wahrscheinlich) beabsichtigte.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Festival-Tagung-Messe, Filmtagebuch veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Fantasy Filmfest Nights 2008

  1. Zu „Diary of the Dead“ ist heute morgen meine Kritik bei F.LM erschienen:
    http://www.f-lm.de/?p=1397

  2. Pingback: postapocalypse » “Schweinescheiße” …

  3. Pingback: Die vorhersehbahren Folgen zielgerichteter filmischer Handlung | SimulationsRaum

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.