FFF 2007: Vierter Tag

Tales from Earthsea
Stuck
All the Boys love Mandy Lane
The Signal
End of the Line

zu „Stuck“ gab es den täglichen Podcast:

Tales from Earthsea (Gedo Senki, Japan 2006, Goro Miyazaki)

Der Sohn des Anime-Großmeisters wandelt auf den Spuren des Vaters – genau genommen orientiert sich sein Film stilistisch an frühen Werken wie „Nausicaä“. Dennoch ist der Erzählrythmus radikal anders – „Tales from Earthsea“ hat nicht wenige Längen und gerade in den Gesangseinlagen sehnt man sich – angesichts des ohnehin überlangen Films – eine Straffung herbei. Auch das Parabelhafte der Erzählung ist hier hintergründiger, wenngleich aber noch vorhanden: Die Beziehungen zwischen den Figuren, allen voran die zwischen den Jugendlichen, offenbaren einiges an „coming of age“-Thematiken. Am beeindruckendsten war für mich die für Ghibli schon fast traditionelle Verwebung europäischer und asiatischer Bildmotive, gerade in der Architektur. Auch positiv hervorzuheben in  „Tales from Earthsea“ sind die beeindruckenden Landschaftszeichnungen, in denen die Figuren mehr als einmal zu verschwinden scheinen.

Stuck (USA 2007, Stuart Gordon)

Ein überaus nüchterner, streckenweise sarkastischer Film um einen jüngst obdachlos gewordenen Mann, der von einer Altenpflegerin überfahren wird und in deren Windschutzscheibe stecken bleibt. Anstelle den Rettungsdienst zu rufen, hat die Frau bedenken, der von ihr im wesentlichen allein verschuldete Unfall könnte negative Konsequenzen für ihre berufliche Karriere haben. Also entscheidet sie, den Mann in ihrer Garage, in seiner Position halb im Auto, halb auf der Motorhaube, sterben zu lassen. So stark verletzt ist er allerdings nicht, so dass er sich ständig zu befreien und sie das zu verhindern versucht. Dies geht sogar so weit, dass sie ihren Freund bittet, den Mann zu ermorden und zu beseitigen. Gordon gelingt es meisterhaft die zahlreichen auf die Handlung verteilten Peripetien so zu verteilen, dass „Stuck“ eine unfassbare Sogwirkung entwickelt. Natürlich ist das moralische Thema vordergründig: Der Zuschauer fiebert dem Ausgleich entgegen, will, dass sich die Sache gut für den Verunfallten und schlecht für dessen Peiniger entwickelt. Dass über diesen Plot ein sehr bitterer Diskurs über die zunehmende soziale Kälte und den Egoismus in der Gesellschaft geführt wird, macht den Film nur noch reicher. Und anstelle die Figuren für diesen Diskurs zu instrumentalisieren, zeichnet Gordon ihnen eine Entwicklung schon vor dem Unfall auf den Leib, die es gar nicht zulässt, sich von ihnen als reine Konzepte zu distanzieren. Großartig!

All the Boys love Mandy Lane (USA 2007, Jonathan Levine)

Was mich noch mehr verwirrt hat als der Film selbst, war die Tatsache, dass ich als einziger aus unserer Gruppe nicht in der Lage war, die angeblichen Qualitäten desselben zu entdecken. Wo die anderen Meta-Diskurse, ernst zu nehmende Teenager-Entwicklungsgeschichten und teilweise sogar „keinen Genrefilm“ ausgemacht haben wollen, hat sich mir ein durch und durch minderwertiger Slasherfilm offenbart, der Schauwerte allein aus dem Aussehen seiner Hauptdarstellerin zu schöpfen versucht, sich 100-prozentig den Genrekonventionen fügt und zuguterletzt alles über den Haufen wirft, indem er einen Plottwist wie ein Kaninchen aus dem Hut zieht, der einfach (und grundlos) das Gegenteil vom zuvor Gezeigten behauptet. Nicht einmal auf der optischen Ebene ist „Mandy Lane“ konsequent, setzt hin und wieder körnigere Bilder, Bleichbadüberbrückung, Doppelbelichtungen usw. ein, ohne dass das in irgend einem Bezug zu irgend etwas stünde … es soll halt – wie die Hauptdarstellerin – gut aussehen. Wenn man auf derlei Blondinen und Attitüden aber nicht steht, funktioniert der Film nicht. Das alles haben „Sleepaway Camp“ und „Scream“ (bei denen sich „Mandy Lane“ mit vollen Händen und leerem Kopf bedient) viel eher viel besser gemacht.

The Signal (USA 2007, David Bruckner, Dan Bush, Jacob Gentry)

Düsterer Amateurfilm (auf Mini-DV produziert), der in drei Kapiteln (von drei unterschiedlichen Regisseuren inszeniert) eine durch ein medienübergreifendes Störsignal ausgelöste Katastrophe bebildert. Ohne Grund werden die Menschen, die sich zu lange dem Signal aussetzen, wahnsinnig und ermorden sich gegenseitig – dabei verlieren sie jedoch nicht den Verstand, sondern finden (und nennen) stets Gründe für ihr Verhalten. Der Film beobachtet eine junge Frau, deren Liebhaber und ihren eifersüchtigen Ehemann, wie sie durch die Katastrophe verändert werden. Jedes Kapitel schlägt dabei einen anderen Ton an. Im ersten dominiert das dystopische Element, im zweiten wird eine Art Splatter-Groteske vorgeführt und im dritten Teil die Handlungsfäden wieder zusammengeführt und die Ausweglosigkeit der Situation noch einmal vor Augen geführt. Besonders hat mir die Montage des Films gefallen, in der immer wieder – beinahe fugenartig – Vor- und Rückgriffe in die gerade gezeigten Sequenzen eingeflochten werden, um alternative Perspektiven, Handlungszusammenhänge und Figurenentwicklungen zu markieren. Es erinnert an Mike Figgis‘ „Timecode“, wie da überaus sinnvoll hin- und hergesprungen wird. Angesichts solcher ausgeklügelter Ästhetiken wirken die teilweise extrem blutrünstigen Splatter-Szenen schon fast wie ein Stilbruch … aber eben nur fast. 🙂

End of the Line (Kanada 2006, Maurice Devereaux)

Hier hat wirklich vieles wie im vorgestern gesehenen „Botched“ ausgesehen. Extrem reduzierte Handlungsorte, viel Splatter und eine eigentlich hanebüchene Hintergrundgeschichte: Eine weltweit verbreitete christliche Sekte (die mit den Kreationisten in Zusammenhang gebracht wird) wird qua Beeper-Signal von ihrem (An)Führer zum Armageddon aufgerufen und bringt jeden, der ihnen über den Weg läuft, mit einem als Kruzifix getarntem Messer um. Während auf der Erdoberfläche also die Hölle der Himmel los ist, versuchen sich in einer Untergrundbahn einige wenige vor den Seelenrettern zu retten, verschanzen sich in Technik-Räumen, flüchten durch Tunnel etc. Ein zweites Beeper-Signal beendet das Massaker schließlich und lässt die Fanatiker in den Freitod gehen (freilich bringen sie sich gegenseitig und nicht jeder sich selbst um, weil der Christengott ja bekanntlich Probleme mit Suizidanten hat). So sehr ich auch grundsätzlich dafür bin, die ideologisch-fanatische und genuin menschenfeindliche Grundlage des Christentums offen zu legen, ist die Herangehensweise von „End of the Line“ doch fragwürdig, weil sie das Thema viel zu sehr der Lächerlichkeit preisgibt. Auch scheint mir der (übrigens sehr gelungen montierte, wenn auch diesbezüglich ein wenig an Jarmuschs „Mystery Train“ erinnernde) Plot selbst zu wenig zuende gedacht zu sein – man sieht förmlich, wie dem Buch die Ideen ausgehen und es seine Rettung in den Verfolgungsjagden sieht. Schön waren hingegen einige Einfälle am Anfang, in denen das Mysteriöse (das am Ende so schnöde den toten Christenkörpern entsteigt) isnzeniert wurde. Da stand der Grusel und die Verwirrung noch im Vordergund, während der Film diesbezüglich zum Schluss wirklich am „End of the Line“ angekommen ist.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
Dieser Beitrag wurde unter Festival-Tagung-Messe, Filmtagebuch, listen carefully veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.