Familiengeschichten Teil 2

Der letzte Tag des Filmfestes stand ganz im Zeichen zerrütteter Kleinfamilien:

Geminis (Argentinien/Frankreich 2005, Albertina Carri)

Ein verstörender Beitrag über einen Tabu-Bruch: Das
Geschwisterpaar Meme und Jere(mias) sind ineinander verliebt, haben
regelmäßig Sex miteinander und werden schließlich zuerst vom großen
Bruder, dann von der Mutter ertappt. Die vor allem von der Mutter
etablierte und geschützte bürgerliche Ordnung der Kleinfamilie bricht
damit zusammen. Der familiere Grundkonflikt mutet recht fadenscheinig
an. Die Kamera, stets auf Detailfang, „beobachtet“ die Entwicklung und
Beziehung der jugendlichen Figuren – die am Rande sich abspielenden
Handlungen sind marginal(isiert). So changiert der Film zwischen einer
fast schon pornografischen Attitüde, die beiden Teenager beim Sex
miteinander zu zeigen und der durch das überdeutliche Versteckspiel der
Kamera verdoppelten Voyeurposition.

Chihiros Reise (Sen to Chihiro no kamikakushi, Jp 2001, Hayao Miyazaki)

Animationsfilm
der – ganz ähnlich zu „Die unendliche Geschichte“ und „Alice im
Wunderland“ die Initiationsreise des kleinen Mädchens Chihiro in ein
Reich voller merkwürdiger Figuren und Gesetzmäßigkeiten beschreibt, in
dem ihre Eltern verschollen sind. In dem Maße, wie Chihiro sich in
diese neue Gesellschaft einfügt, schafft sie es, ihre eigenen Probleme
zu lösen. Am Ende des Films steht eine gelöste, vormals bedrohliche
Atmosphäre und eine erste kindliche Liebesbeziehung. Ideen- und
Variationsreichtum des Films sind schier unerschöpflich. Da die
Geschichte sehr einfach strukturiert ist und auch die vielen
bedrohlichen Situationen schnell gelöst werden oder ihre
Unbedrohlichkeit offenbaren, wendet sich „Chihiros Reise“ – im
Gegensatz etwa zu „Prinzessin Mononoke“ aus dem selben Animationsstudio
– besonders an Kinder als Zuschauer.

Homecoming (USA 2004, Jon Jost)

Der
teilweise experimentell inszenierte Videofilm des seit 1963
künstlerisch aktiven Jon Jost beschreibt das Leben einer Kleinfamilie
im Osten der USA. Während Vater und Mutter ihr Geschäft immer nur knapp
vor dem Ruin retten können, schlittert der jüngste Sohn von einer
sozialen und psychischen Katastrophe in die nächste. Mit der
Todesmeldung des im Irakkrieg umgekommenen großen Bruders zerbrechen
schließlich die letzten familieren Strukturen. Josts Film ist ein
einfühlsames Psychogramm, kann jedoch seine Schwächen, die vor allem in
der allzu kruden Videoästhetik liegen, nicht verbergen. Der politische
Background, der sich allein am Patriotismus der Eltern spiegelt, wirkt
ebenfalls wie eine Behauptung. So dümpelt „Homecoming“ nach dem optisch
sehr interessanten und experimentellen ersten Drittel schnell mit
seinen gähnen langen Schweige-Sequenzen dahin.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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