»Manche Dinge werden erst viel später klar.«

The Boogeyman (USA 1982, Jeffrey C. Schiro)

… gestern Abend dann noch schnell die zweite Vorstudie zu „Boogeyman“ zusammen geguckt.

Der
etwa 20-minütige Kurzfilm aus der Stephen-King-Kompilation „Nightshift
Collection“ erzählt die Geschichte Lester Billings, der nacheinander
seine beiden Kinder an den „Boogeyman“ verloren hat. Die Polizei hält ihn
für den Mörder, doch er kann sich an nichts erinnern, weiß nur, dass
der Boogeyman, jener schwarze Mann, der im Schrank wohnt und nachts
herauskommt, wirklich existiert.

Einem Psychotherapeuten erzählt er die Dinge, die den beiden Toden
vorausgegangen sind: Nachts, von Weinen der Kinder geweckt, wird
Billings jedesmal aggressiver, bekommt sogar bei der Nacherzählung
Wutausbrüche. Dann ist es still und zwischen jeweils 1 und 3 Uhr Nachts
findet Billings die Kinder tot auf – das eine im Bett, das andere in
der Badewanne.

Während seines Therapiegesprächst versucht Billings den Verdacht, seine
Kinder aus Wut selbst getötet zu haben, von sich zu weisen. Doch ihm
kommen auch Zweifel an seinem Gedächtnis: „Wenn Sie lange genug an
etwas denken, dann glauben Sie schließlich daran. Vielleicht sind das
all die Sachen, vor denen wir uns als Kinder fürchteten; Frankenstein,
Werwolf: Vielleicht ist das alles Wirklichkeit. Wir haben doch die
Kinder nicht umgebracht, die wir in einem See ertrinken sehen oder die
in eine Kiesgrube fallen!“ – Dies ist nur
einer, aber vielleicht der wichtigste der Hinweise, die auf Billings
Täterschaft deuten.

Im Schiros Film begegnet uns der Boogeyman abermals als Kinderschreck –
bekommt hier jedoch ungleich realere Züge als pathologische Erscheinung
des gewalttätigen Vaters. (Auch hier korreliert das Motiv mit der
„Der Sandmann“ – legt man die Kittler’sche Analyse zugrunde!)

„The Boogeyman“ versucht seinem Zuschauer ein fantastisches Sujet für
eine von familiärer Gewalt geprägte Situation
unterzuschieben. Mehr und mehr wollen wir zusammen mit Billings sich
langsam öffenende Wandschranktüren sehen, wollen wir seinem Schock
glauben, den er erfährt, als sein kleiner Sohn tot vor ihm in der Wanne
liegt. Doch der Film – das offenbart der Schluss – ist lediglich die
Visualisierung von Billings Verdrängungsleistung.

Der Film führt uns dies
nicht nur in der Fantastik der Bilder vor, sondern vor allem auch in
Montage und Kameraarbeit: Da gibt es die Verdopplung der Wutausbrüche
in der Erinnerung und in der Therapiesituation, die suggeriert, dass
schon allein das Denken an die Kinder Wut in Billings schürt. Dann
verfolgen wir ihn in seiner klaustrophobisch engen Wohnung (die Kamera
nimmt die seltsamsten Perspektiven ein und zeigt uns Körper und
Gesichter stets in Ausschnitten oder Großaufnahmen) – das ist die
Perspektive des „Boogeyman“: Die Unerträglichkeit des gezwungenen
Zusammenseins.

Vieles im Film „The Boogeyman“ erinnert an Kubricks „The Shining“. Für
King selbst dürfte die Kurzgeschichte „The Boogeyman“ sicherlich eine
Art „Vorstudie“ dargestellt haben. Von der klaustrophobischen Situation
in den schmalen Gängen der Wohnung über den zunehmenden
Realitätsverlust des Hauptdarstellers bis hin zum Sujet – dem
Kindesmord. „The Boogeyman“ ist aber ungleich „ernster“ als der
King-Roman – zusammen mit „Woman in the Room“ vielleicht das seriöseste
aus Kings Feder überhaupt. Die Filme belegen dies nachhaltig.

Ein fast schon bitteres Bonmot stellt die Widmung Schiros am Ende der Titles dar: „To Mom and Dad for opening doors.“

Literatur:

Kittler, Friedrich A.: „Das Phantom unseres Ichs“ und die
Literaturpsychologie. E.T.A. Hoffmann – Freud – Lacan. In: Urszenen.
Literaturwissenschaft als Diskursanalyse und Diskurskritik. Hrsg. v.
Friedrich A. Kittler u. Horst Turk. Frankfurt/Main 1977. S. 139 – 166.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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