Das Schloss

15.07.03: Das Schloss (Video)

»Sie sind nicht aus dem Schloss,
Sie sind nicht aus dem Dorfe,
Sie sind nichts.
Leider aber sind Sie doch etwas,
ein Fremder,
einer, der überzählig
und überall im Weg ist.«

(Die Wirtin zu K.)

Bei
filmischen Literaturadaptionen ist die Versuchung immer groß, die Frage
nach der adäquaten Umsetzung des Stoffes zu stellen. Eine alleinige
Konzentration darauf würde natürlich den Kunstcharakter des Films
hintanstellen zugunsten eines Vergleichs des nicht Vergleichbaren. Aber
dennoch scheint die Stoff-Verwertungsindustrie, die auf ihrer Jagd nach
Profit den Erfolg des einen Mediums dringend auf ein anderes Medium
ausdehnen muss, dem Filmzuschauer das Vergleichen nahe zu legen.

Im
vorliegenden Fall tritt eine weitere Schwierigkeit hinzu, denn „Das
Schloss“ ist nicht nur irgendein kassenträchtiger Bestseller, sondern
ein multiples Rätsel der Literatur. Selbst Fragment geblieben hätte
Kafka es lieber den Flammen anvertraut, als es jetzt auch noch ins Kino
adaptiert gesehen. Die Erzählung – und bei weitem nicht nur diese
Erzählung Kafkas – scheint aber dennoch nicht nur besonderen Reiz,
sondern sogar besondere Verträglichkeit für einen Medienwechsel zum
Film zu bieten. Nicht selten wird Kafka von der Forschung ein
„filmischer Blick“ beim Schreiben unterstellt und er selbst war auch
eifriger Kinogänger, wenn man den Ausführungen Hanns Zischlers in
„Kafka und das Kino“ Glauben schenken will. Alles gute Bedingungen für
das Schreiben von Drehbüchern.

„Das Schloss“ von Michael Haneke
scheint dem Rechnung tragen zu wollen und darüber hinaus noch die Frage
beantworten zu wollen, wie sich denn nun Film angemessen einem solchen
Stoff nähern kann. Haneke schlägt hierzu eine „pseudo-literarische“
Filmschrift vor. Abweichend von gängigen Inszenierungsmustern lässt er
zum Beispiel immer wieder einen Sprecher aus dem Off genau das
kommentieren, was gerade im Bild zu sehen ist (und fast immer sind
diese Off-Kommentare gelesene Prosa-Stellen des Romanfragmentes, wie
auch die Film-Dialoge oft direkt aus der Feder Kafkas stammen) oder er
unterbricht selbst bedeutsame Handlungssequenzen durch einsekündige
Schwarzblenden – ganz so, als würde er für den Filmzuschauer umblättern
– nur, um dann oft an der selben stellen „weiter zu erzählen“.

Der
Inszenierungstil kommt der Rhetorik und dem Stil Kafkas recht nahe.
Nicht nur die abstruse und verstörende Handlung (auf die ich noch zu
sprechen kommen werde) findet in diesen optisch-akustischen Verfahren
ein Pendant. Auch die den Kafka’schen Helden-Figuren stets anhaftende
„verweifelte Souveränität“ wird durch diese brachialen Einschnitte in
die Sukzession ihrer Handlungen und Gedanken immer wieder
hervorgekehrt. So scheint man die „Mikrophysik der Verschwörung“, die
im Dorf unter dem Schloss herrscht – ja, die den Landvermesser beherrscht -, förmlich sehen zu können.

Haneke
nähert sich der Erzählung Kafkas mit dem selben Respekt und dem Wunsch,
für sie eine angemessene filmische Form zu finden. Das komplizierte
Netz aus sozialen Beziehungen und Barrieren, auf das der Landvermesser
stößt, wird in all seiner Unverstehbarkeit bebildert. Die Figuren, sind
wie im Romanfragment eigenartig opak. Immer scheinen sie gleichzeitig
für die Verheißung K.s zu stehen, einen „Zugang“ zum Schloss oder
wenigstens doch zu dem Schlossbeamten „Klamm“ zu bieten und zerfallen
doch andererseits immer wieder in die Fragmente ihrer eigenen Ohnmacht.
Die „verzweifelte Souveränität“, von der ich sprach, betrifft zwar in
aller erster Linie die Identifikationsfigur des Landvermessers K., ist
aber auch ein Charakterzug, der jedem der Dorfbewohner irgendwie
anzuhaften scheint. Einzig die „unsichtbaren“ Beamten des Schlosses
(seien sie nun am Telefon, wie Klamm in der verschlossenen Wirtsstube
oder auch nur im Gemunkel der Dorbewohner anwesend) genißen die volle
Souveränität über sich selbst und das Geschehen. Haneke setzt dies
gekommt durch eine uneigentliche Inszenierung um: Die Souveräne glänzen
durch Abwesenheit und Bildnisverbot. Die Anwesenden Dorfbewohner wirken
allesamt alt, schwach und krank (oder doch zumindest schwachsinnig, wie
die Gehilfen), so dass der hochgewachsenen und aufrechten von Ulrich
Mühe dargestellten K. zumindest physisch nicht zu ihnen zu gehören
scheint. Aber gehört er deswegen schon zum Schloss?

Um sich voll
auf die „Inszenierung der Schrift“ konzentrieren zu können, verzichtet
Haneke auf jedes überflüssige Detail. Das heißt, dass der normative
Kontext der Erzählung weitestgehend ausgespart bleibt (Romanfragment
wie Film scheinen sich in keiner Zeit verorten zu lassen). Darüber
hinaus fällt aber auch der Verzicht auf einen Soundtrack, „korrekte“
Ausleuchtung der Szenerie oder auffällige Kameraarbeit auf. Dadurch
erhält der Film eine Authentizität, die der Zuschauer erst auf den
zweiten Blick „spürt“ und die sein unangenehmen Potenzial zumindest
unterstützt, wenn nicht gar ausmacht.

Der Film „Das Schloss“ erweist dem Romanfragment „Das Schloss“ den größtmöglichen Respekt, indem er gar nicht erst versucht nicht
etwas zu sein, was er doch so offenkundig ist: eine „Verfilmung“. Im
Gegenteil: Haneke nutzt die Chance und bereitete denn Stoff
„mediengerecht“ in all seinen Facetten so auf, dass selbst demjenigen,
der die Prosa nicht kennt, hinterher ein Eindruck vom Stil und der
Erzählung gegeben sein dürfte.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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