Bewegliche Ziele

12.07.03: Targets (Video)

»Like the dilation of the pupil in moments of excitement and fear,
terror marks the uplifting thrill where horror distinguishes a contradiction
at the imminence and unavoidability of the threat.«
(Fred Botting)

Sicherlich:
Der Übergang vom klassischen zum modernen Horrorfilm ist in dem Sinne
schleichend, wie wir noch heute den schwarz-weißen Filmmonstern, den
verrückten Wissenschaftlern, den Spukschlössern mit ihren Gruften und
den Happy Ends mit dem siegreichen Guten Ehrfurcht und Bewunderung
entgegen bringen. Dennoch wir können uns nicht darüber hinweg täuschen,
dass der Grusel, den wir bei solchen Filmen vielleicht noch empfinden,
allenfalls der der Erinnerung ist an ein Lebensalter, in dem diese
Bilder noch nicht als längst von der Realität eingeholt auf uns gewirkt
haben.

Während vor der Maschine die alten Erzählungen des
Horrorfilms mit dem Alter an künstlerischem Respekt gewinnen, altern
dahinter die Macher und Darsteller ganz ohne Würde. Sie werden vom
System abgeschrieben, mal weil sie zu alt sind, mal, weil ihre Rolle zu
sehr auf ihr Leben übergegangen ist, immer aber, weil sie die
Signifikanten der oben genannten Anachronismen sind, die sie
unfreiwillig von Rolle zu Rolle weitertransportieren.

Ungefähr
davon handelt Peter Bogdanovichs „Targets“. Der alternde Boris Karloff
spielt den alternden Byron Orlok, einen Horrorfilmstar der
Vergangenheit, der sich in Selbsterkenntnis seiner Unfähigkeit,
wirksam, geschweige denn gruselig zu sein, aus der Branche zurück
ziehen will. Einen allerletzten Auftritt will er noch absolvieren: In
einem Autokino, wo sein letzer Film läuft, soll er im Intermezzo einen
kleinen Auftritt bekommen, bei dem er eine seiner
harmlos-bedeutungsschwangeren Grusel-Geschichten erzählen will.

Doch
der moderne Terror-Film entwickelt sind in „Targets“ in einem zweiten
Handlungsstrang. Der gelangweilte und verwöhnte Waffenfetischist Bobby
Thompson verhält sich seltsam: Während Schießübungen mit seinem
ebenfalls in Waffen vernarrten Vater zielt er auf diesen, verfolgt ihm
mit dem Visier seines Gewehrs, ohne jedoch abzudrücken. Immer wieder
sehen wir Bobby, wie er penibel Waffen hortet, auf Menschen zielt,
jedoch nur zum Schein. Er äußert hier und da, dass ihm eigenartige
Gedanken durch den Kopf gehen, aber davon will niemand in seiner
Familie etwas hören. Und so entschließt sich Bobby eines Morgens, so
lange auf Menschen zu schießen, bis ihn jemand aufhält – und er fängt
mit seiner Familie an: Seine Frau, seine Mutter und sein Vater sind die
ersten Opfer. Dann beseitigt er in stoischer Ruhe die Leichen und
verlässt das Haus. Er platziert sich auf einem Wassersilo und feuert
wahllos auf Autos, die auf dem Highway an ihm vorüberfahren. Nachdem
die Polizei naht, fliht er und sein nächstes, willkürliches Ziel ist
ein Autokino.

Bogdanovich erzählt diese beiden Geschichten aus
zwei völlig unterschiedlichen Perspektiven: Der Abschied des Orlok wird
von ihm wie ein Back-Stage-Melodram illustriert. Ein alternder
Schauspieler, voller Weisheit und Selbstironie, der die Welt nicht mehr
versteht, aber auch froh darüber ist, dass er sie auch nicht mehr
verstehen muss. Seine Freunde und Geschäftspartner versuchen ihn zu
überreden, seine Karreire nicht zu beenden, doch er lehnt ab. Sein
Stern ist am Untergehen und so wird die Geschichte auch inszeniert:
voller Pathos, ganz so, als wäre sie selbst der Finalebeitrag eines
Genres.

Bobbys Alltag wird von Bogdanovich ingegen in
sachlicher, kühler, ja geradezu aseptischer Präzision gezeichnet. Dass
etwas nicht stimmt mit der Welt, in der Bobby lebt, schwingt die ganze
Zeit bedrohlich-ruhig mit. Die unangenehme Langsamkeit der
Kamerafahrten, die karge Ausstattung der Wohnung, die symmetrische
Präzision der Waffen in Bobbys Kofferraum und nicht zuletzt sein
peinlicher und gewissenhafter Ordnungssinn kennzeichnen ihn als
hypernormal – eine Zuschreibung die festes Mythologem des Serienmörders
ist.

Bobby und Orlok treffen im Autokino aufeinander. Während
der Film – der vielleicht letzte große klassische Horrorfilm mit
nebulösen Mooren, einem verfallenen Schloss und düsterem Schlossherren
– projiziert wird, postiert sich Bobby mit seinem Gewehr hinter der
Leinwand und visiert durch ein Loch die Zuschauer an. Hier formuliert
Bogdanovich die Metaphern des Epochenwechsels mehrfach in Handlung und
Bildebene aus: Der alte Horrorfilm, aus dem der moderne Terror-Film im
wahrsten Sinne des Wortes hervorbricht; der Zuschauer, der zum Opfer
der Bilder wird; die normale Situation, die jederzeit in die Irrealität
umkippen kann. Und mitten drin Orlok, der zunächst nicht versteht, was
vor sich geht, warum die Zuschauer zuhauf aus der Vorstellung flüchten.
Dann erkennt er den Schützen und geht auf diesen zu. Als er ihm
gegeüber steht, schaut er ihm unerschrocken ins Gesicht und verpast ihm
einen Satz Ohrfeigen.

Hier fällt der Vorhang für eine Ära des
Kinos. Der Irrationalität und Gewalttätigkeit der neuen Bilder und
Monster, ist mit keinem Mittel der aristokratischen Bekämpfung des
Bösen beizukommen. Und so sind die Ohrfeigen auch mehr eine Geste und
dass Bobby tatsächlich unter ihnen zusammenbricht kennzeichnet den
Schluss des Films vollends als Parabel. Orlok dreht sich um und geht.
Und nachdem Bobby von der Polizei gefangen genommen wurde, bekommen wir
nach einer Blende das verlassene Autokino am folgenden Morgen aus der
Hubschraubertotale zu sehen. Leere Parkplätze, ordentlich voneinander
durch Markierunglinien separiert. Ein einziges Auto steht noch dort –
aber auch das ist akurat in seiner Parkbucht abgestellt und was im
Kofferraum ist, kann man nur vermuten.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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