Tony Scotts „Man on Fire“ und die Ökonomie der Dinge
Wenn du dein Kind oder deine Frau küßt,
so sage dir: es ist ein Mensch, den du küßt.
Dann wirst du nämlich nicht die Fassung verlieren,
wenn er stirbt. (Epikur)
Tony Scotts „Man on Fire“ und die Ökonomie der Dinge
Wenn du dein Kind oder deine Frau küßt,
so sage dir: es ist ein Mensch, den du küßt.
Dann wirst du nämlich nicht die Fassung verlieren,
wenn er stirbt. (Epikur)
Nähe erzeugt Empathie. Film schafft zweierlei Arten von Nähe: „nahe
Bilder“ und Geschichten, die einem „nahe gehen“. Wenn sich – wie bei
Tony Scotts „Man on Fire“ – beide Formen von Nähe miteinander
verbinden, entsteht ein interessantes Verhältnis zwischen Erzählung und
Bildkomposition. Scott setzt in „Man on Fire“ verschiedene Techniken
ein, um den Blick des Zuschauers abzurichten. Und es erscheint schon
fast als Zwangsläufigkeit, dass sein Film „von Entführung und Liebe“
handelt.
, ein
ausgebrannter CIA-Agent, der von seinem Freund Rayburn (Christopher
Walken) nach Mexiko City gebracht wird, um dort als Bodyguard der
kleinen Pita (Dakota Fanning), Tochter eines Großindustriellen, zu
arbeiten.
Creasy ist zunächst darauf bedacht, emotionalen Abstand zu seinem
Auftraggeber zu wahren. Nach einer Weile taut er jedoch auf und beginnt
eine Freundschaft zu dem kleinen Mädchen, ja, ersetzt schließlich deren
dauernd abwesenden Vater. Die Logik des Entführungsthrillers schreibt
es vor: Im Moment größter emotionaler Nähe wird Pita auf offener Straße
entführt und Creasy beim Versuch ihrer Rettung niedergeschossen. Er
erholt sich nur mühsam von seinen Verwundungen und steht nun auch noch
unter Anklage, zwei Polizisten (die bei der Entführung anwesend und
beteiligt waren) erschossen zu haben. Creasy, noch verwundet, verlässt
das Krankenhaus und sucht die Eltern des Mädchens auf. Die haben
mittlerweile eine geplatzte Lösegeldübergabe hinter sich und die
Nachricht vom Tod der kleinen Pita erhalten. Creasy schwört, in das
System der Entführer einzudringen und den Tod zu rächen – koste es, was
es wolle.
<b>Erzählung</b></p>
<p>Strukturalistisch lässt sich die Erzählung von „Man on Fire“ auf das<br />
Beziehungsgeflecht von Nähe und Ferne herunter brechen. Creasy versucht<br />
distanziert zu seinem Auftrag (die kleine Pita ist ein Auftrag) zu<br />
bleiben, während sein Auftrag versucht, die Distanz dadurch, dass<br />
Creasy in die Privatsphäre der Familie hineingezogen wird, zu<br />
vermindern. Nach einer guten dreiviertel Stunde hat sich Creasy endlich<br />
darauf eingelassen und beginnt eine Beziehung zu Pita aufzubauen, die<br />
in immer größerer Fürsorge und schließlich in einer Szene gipfelt, als<br />
eine Lehrerin Pitas Creasy sagt, er sei jetzt ihr Vater. Die<br />
Erzählungen zweier Einsamer haben sich aufeinander zu bewegt und<br />
verschmelzen an diesem Punkt zu einer Erzählung.</p>
<p>Ein „entfernendes Prinzip“, das der Entführung (und was ist Entführung<br />
anderes als eine Methode der Entfernung – genau das Gegenteil von<br />
Liebe, die eine Methode der Annäherung ist), löst diese Verschmelzung<br />
mit Gewalt. Doch das Ganze ist längst mehr als die Summe seiner Teile<br />
geworden. Es gibt nicht mehr Creasy und Pita, sondern nur noch „Creasy<br />
und Pita“ – eine eigentlich untrennbare Vater-Kind-Dyade, deren<br />
Trennung ein Trauma auslöst.</p>
<p>Die Entführung etabliert jedoch ein anderes Nahverhältnis in der<br />
Erzählung: Das von Entführer(n) und Opfern (Pita und ihre Familie).<br />
„Die Familie ist das wichtigste.“ wiederholt „Die Stimme“ (der<br />
Entführer tritt lange Zeit im Film nur als Signifikant auf) mehrfach.<br />
Darüber sind sich alle einig. Der Entführer öffnet die eigentlich in<br />
sich geschlossene Hemisphäre der Familie Pitas und koppelt sie an seine<br />
eigene Familie. Das zeigt sich nicht nur in der Art und Weise, wie „Die<br />
Stimme“ mit Pitas Familie kommuniziert, sondern auch darin, wie er sich<br />
um Pita „kümmert“. Creasy, der als jemand, welcher von Außen in<br />
Familien eindringt, eingeführt wurde, verschafft sich über diese<br />
Kopplung Zugang zur Familie des Entführers. Erst zu dessen beruflicher<br />
Familie (die nicht ohne Grund als „Die Bruderschaft“ firmiert) und dann<br />
zu dessen biologischer Familie: Er entführt den Bruder des Entführers<br />
um auf diese Weise Rache zu üben.</p>
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