Der Roboter ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt

Schach dem Roboter (Le collectionneur des cerveaux, F 1976, Michel Subiela) (VHS)

Dieser Film genießt – wie man lesen kann – einen gewissen Kultstatus. Der ist zum Einen wohl durch seine Seltenheit bedingt (eine DVD oder Videokassette scheint es nicht zu geben und im TV lief er zuletzt 1990), zum Anderen aber sicherlich durch seine gekonnte Verknüpfung von technik- und kulturhistorischen Motiven mit Themen des Verschwörungs- und Paranoia-Thrillers:

Im Zentrum steht die Begegnung der Klavier-Virtuosin Penny mit dem Comte de Saint Germain, einem Konstrukteur von „Robotern“ – Maschinen, die sowohl Instrumente als auch das Schachspiel beherrschen. Germain möchte Penny als Modell für einen neuen Klavierspiel-Automaten gewinnen und lädt sie zu sich ins Atelier ein. Zuvor liest sie in der Zeitung  jedoch von einer Ausstellung seines Schachautomaten, die sie heimlich besucht. Dabei bemerkt sie, dass der Roboter auf ganz ähnliche Weise Schach spielt wie ihr seit langem in Südamerika verschollener Verlobter. Zusammen mit ihrem Freund Lewis geht sie dem Phänomen auf den Grund. Mit Hilfe von ehemaligen Schachpartnern ihres Verlobten erfährt sie, dass nicht nur die Art zu ziehen, sondern auch die Strategien des Roboters denen des Verschollenen aufs Haar gleichen. Noch zieht Penny daraus nur den Schluss, dass Germain ihren Verlobten gekannt haben muss – was dieser auch bestätigt: Er habe sich durch den Schachmeister damals in Argentinien zu seinem Roboter inspirieren lassen; mit dem kurz darauf erfolgten Verschwinden habe er aber nichts zu tun. Nach und nach entdecken Penny und Lewis, dass nun aber auch bei der Konstruktion des Klavier-Roboters seltsame Dinge vor sich gehen. Der bei den Probeaufnahmen anwesende Schachroboter erleidet regelrecht einen Zusammenbruch, als er das Spiel der Frau hört. Und die Puppe, die Germain von der Klavierspielerin anfertigt, ähnelt Penny sehr – außer, dass ihr Kopf (noch) leer ist. Womit er gefüllt wird, das ist das schreckliche Konstruktionsgeheimnis St. Germains und gleichzeitig des Rätsels Lösung für das Verhalten des Schachroboters und das Verschwinden von Pennys Verlobten.

Einmal davon abgesehen, dass „Schach dem Roboter“ eine wirklich gelungene Kriminalerzählung im ruhigen Tempo und trotzdem mit nicht wenigen Action-Szenen darstellt, laufen in ihm gleich mehrere sehr interessante Bezüge zusammen. So ist zunächst der Comte de Saint Germain nicht nur nach der historischen, schillernden Figur des Grafen St. Germain benannt, sondern er identifiziert sich im Film auch mit diesem „unsterblichen Genie“. Zugleich finden sich in seinen Maschinen Anspielungen an den Schach-Türken und andere Automaten des Konstrukteurs Wolfgang von Kempelen, einem Zeitgenossen St. Germains. Und auch diese Ähnlichkeit streitet der Film-Antagonist nicht ab. Wo so viel vorsätzliche Vorlage im Spiel ist, lohnt es sich immer besonders, nach den nicht genannten Quellen des Stofffes Ausschau zu halten. Und einige wichtige scheinen mir tatsächlich zu existieren.

Zunächst die zum Roman „Die Eva der Zukunft“ von Auguste de Villiers de L’Isle-Adam – einem der ersten Roboter-Romane der Literaturgeschichte. Verwandt sind sich beide Stoffe vor allem in Hinblick auf die in ihnen dargestellten Erfinder (hier St. Germain, bei Adam Edison – eine Vexierfigur des historischen Erfinders) und in Hinblick der Konstruktionsprinzipien ihrer Maschinen. Beide Erfinder stehen in gewisser Hinsicht außerhalb der Moral (sozusagen in einer Reihe mit Viktor Frankenstein und Captain Nemo), ohne jedoch den Bezug zur zeitgenössischen Moralität zu verleugnen. Sie negieren ihn schlicht dadurch, dass sie mit ihren Maschinen gesellschaftliche und private Tatsachen, die sie als Probleme identifiziert haben, beseitigen wollen und dabei auch vor der Vernichtung biologischen Lebens und anderen Tabubrüchen nicht zurückschrecken. Der Geist des Genies (nach) der ersten industriellen Revolution ist in ihnen sozusagen perfekt verkörpert: Die Technik soll den Menschen nicht nur von seiner Muskelarbeit befreien, sondern auch gleich noch von seinen Muskeln selbst. Die Dichotomie zwischen Leib und Seele wird zugunsten der zweiten und mit Hilfe des technischen Automaten beseitigt.

Die Vorgehensweise ist sowohl bei St. Germain als auch bei Adams Edison bestimmt durch das Prinzip der Mimesis. Die Apparate sollen perfekte Doubles sein. Edisons „Eva“ nicht nur im inneren (der Roman klärt über zig Seiten auf, wie das Innere gestaltet ist, damit es den Anschein von Lebendigkeit erweckt), sondern auch im Äußeren. St. Germain geht es indes – und das verbindet ihn einmal mehr mit von Kempelen und seinen Spielzeugen – um die Simulation geistiger Prozesse, zu denen er vor allem das Spielen zählt (das nach Schiller die conditio humana schlechthin bildet). Sein Schachautomat ist wie sein Klavierautomat am Meister orientiert und wiederholt das, was als Meisterschaft anerkannt ist und sich nach Außen hin als solche identifizieren lässt. Der Übergang von der geistigen auf die motorische Simulation ist dabei fließend: Die Handbewegungen der Klavierspielerin scheinen St. Germain ebenso nachahmenswert wie die Art und Weise mit der ihr Verlobter die Schachfiguren auf dem Brett bewegt. Diesen seltsamen (und verräterischen) Hang zu gestischen Nachahmung hat er zuvor mit Spielmaschinen, die Jongleure und Akrobaten nachahmten, erprobt (wäre es nicht zu unwahrscheinlich, könnte man beinahe eine Auseinandersetzung mit Claude Shannon als dritte Inspiration zum Stoff vermuten). Dort hatte er noch einen gewissen Sinn, beim Klavierspielen ebenso – aber dass die Qualität des Schachspiels in irgend einer Weise von der Handführung abhinge …

Ohne hier zu weit in ein Feld, auf das ich mich erst vortaste, schreiten zu wollen, scheint es mir doch so, als transportiere der Film genau in diesem unsinnigen Widerspruch Denkpositionen vom Spätbarock bis Ende des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Die scheinen zum einen die „metaphysische“ Verbindung von Physis und Psyche zu betreffen, deren „Versinnbildlichung“ ja die zahlreichen Automaten sind, die Menschen und Tiere nachbilden. Zum Anderen kondensiert gerade im Denken und Handeln St. Germains ein Weltbild der Physik, die im Rückblick (also in der Begegnung mit und Bewertung von Jenny und den anderen Protagonisten der 70r) als allzu mechanistisch erscheint, die – mit Ernst Mach gesprochen – vielleicht „das Handwerkzeug einer Spezialwissenschaft für die eigentliche Welt“ hält.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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