»Interaktive Computer-Fiktion«

Terminal Entry (USA 1986, John Kincade) (VHS)

Wenn die Kriegsspiele immer besser, das heißt realistischer werden, dann kann es – so eine Dystopie des Computerfilms – irgendwann dazu kommen, dass man Spiel und Krieg miteinander verwechselt. Die Kausalbeziehung, dass das Krieg-Spielen am Computer zum Kriegspielen in der Realität (ver)führt, ist eine altbekannte Warnung der Medienkritik. Der umgekehrte Fall ist in Filmen wie „War Games“ und „Terminal Entry“ zu bewundern.

In letzterem verbringt eine Gruppe Jugendlicher ein kommunikationsfreies Wochenende auf dem Lande, das heißt: Dort gibt es kein Fernsehen, kein Radio, kein Telefon, wohl aber einen Computer, der „am Netz“ angeschlossen ist (was ohne Telefon in den 80ern wohl die größte technische Utopie des Films gewesen sein dürfte – aber sei’s drum). Die Jugendlichen haben sich nämlich vorgenommen, dass sie – während sie einander sexuell näher kommen – ein Videospiel durchspielen, das „Terminal Entry“ heißt. Dabei handelte es sich ihrer Meinung nach um ein Netzwerkspiel mit mehreren Teilnehmern, in welchem Terroranschläge auf Einrichtungen ihres Landes und Politiker verübt werden sollen. Sie steuern dabei über ein Menü „Schläfer“, die dann Selbstmordattentate begehen.

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Was sie nun nicht wissen, und das ist der Gag des Films, ist, dass sie sich unbemerkt in ein Terror-Netzwerk (so oder so verstanden) eingeklinkt haben, dessen Koordination sie nun übernehmen. Weil sie durch ihre selbst gewählte mediale Isolation nicht mitbekommen, welchen realen Auswirkungen ihre virtuellen Spielaktionen haben, richten sie dabei erheblichen Personen- und Sachschaden an. Ihr Spiel bleibt jedoch stets unbefangen, sie genießen die Macht des Spielers und freuen sich über jeden erfolgreich ausgeführten Auftrag. Der Spaß endet, als einer von ihnen eingibt, ein Kommando solle den Ort, an dem sie sich gerade befinden, von sechs dort anwesenden Jugendlichen „reinigen“ und sie kurz darauf erfahren, dass ihre Aktionen keineswegs bloß virtuell waren und sie sich nun selbst auf der Abschussliste der Terroristen befinden. Sie sind damit ebanfalls zu „Selbstmordattentätern“ geworden.

Der andere Erzählstrang des Films gehört nicht zum Genre der „Highschool-Computernerd-Romance“, sondern ist ein handfester Actionfilm. Dieser erzählt von einem Soldaten, der damit beauftragt ist mit seiner Truppe das islamistische (!) Netzwerk eines gewissen Mahadi auszuheben, der für eine Reihe von Terroranschlägen in den USA verantwortlich ist. Das Militär hat nämlich das Netzwerk angezapft und bekommt die Anweisungen der jugendlichen Hacker an die Terroristen Detail für Detail mit. Hier ist das Unwissen jedoch umgekehrt: Das Militär kennt die realen Auswirkungen der Anweisungen, nicht aber ihren virtuellen Ursprung. Erst als die Kids die Terroristen auf sich selbst lenken, kommen der virtuelle und der reale Raum zur Deckung und alle Parteien treffen sich in, wie man heute so schön sagt, RL.

Der „heilige Krieg“ (sic!) der Terroristen richtet sich übrigens vor allem gegen die Informationsstrukturen der USA; gekämpft wird mit der „dritten Waffengattung“ (Virilio), den Kommunikationswaffen. Überhaupt ist „Terminal Entry“, was sein Terrorismus-Bild angeht, beunruhigend luzide. Und auch die Selbsteinschätzung des Militärs gegen Ende findet nur 15 Jahre später ihren Reflex in der politischen Wirklichkeit der USA: „Mag sein, dass wir die erste Generation sind, die amerikanische Interessen von amerikanischem Boden aus verteidigen muss“, sinniert der siegreiche Kriegsheld gegenüber einem der Jugendlichen.

Aber zurück zu den Videospielen. Wie in „Thrillkill“ hat auch hier (im Wortsinne) die Wirklichkeit Pate gestanden, was die simulatorische Finesse der Games angeht. Zu Beginn des Films spielt einer der Jugendlichen ein Spiel, in dem eine reale Frau in einem (dieses Mal wirklich computer generierten) Vektorraum einkopiert ist:

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Das Spiel mit der leicht bekleideten Frau kann er als in sexuellen Dingen noch unerfahrener Computer-Nerd (seine Unschuld verliert er erst später im Landhaus an eine „Computermaus“) nur verlieren. Aber auch in einem anderen Genre, mit dem er und einer seiner Freunde sich beschäftigen, droht er zu verlieren, wie das Bild daneben zeigt. Es ist ein Adventure, in dem die Spielfigur von einem Mad Scientist gefangen wird und nur wenig Zeit und viele Optionen hat, sich zu befreien. Er wählt zunächst die falsche; erst als sich die Mädchen (rechts) dem Treiben zugesellen, gibt es einen Ausweg, denn eine von ihnen erkennt, dass der falsche Lösungsweg doch der richtige ist, man ihn nur konsequent zuende gehen muss.

Da wird schon vieles von dem Terror-Spiel, das sie später spielen werden, vorweggenommen. Die eindeutig als computergeneriert markierten Räume der Spiele zeigen jedoch, dass hier noch keine wirkliche Gefahr besteht. Das ändert sich, als im „Terminal Entry“-Programm (und hier wird gewitzt mit der Polysemie des Titels gespielt) auf einmal fotorealistische Bilder auf dem Monitor des Apple II auftauchen:

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Da bekommen Aussagen, die zuerst auf die erotische Wirkung ihrer Mitspielerinnen bezogen waren („Nichts ist schärfer als die Realität.“) auf einmal einen verunsicherten Einschlag: „Das Spiel ist mir ’ne Nummer zu echt.“ Die Spieler wissen also, wann sie das „uncanny valley“ durchschritten haben und die Simulation augenscheinlich verlassen – nämlich dann, wenn ihr ungutes Gefühl es ihnen sagt. Dann brechen sie das Spiel ab. Damit befinden sie sich immerhin auf einer moralisch höheren Stufe als so manche andere Cyber-Krieger ihrer Zeit, werden aber genauso wie diese am Schluss nicht für ihre Handlungen verantwortlich gemacht: Sie haben Milliarden-Schäden verursacht und hunderte Menschenleben ausgelöscht, aber ihr Gewissen ist rein, denn sie haben ja nur einen Knopf gedrückt.

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Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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