Frühling, Sommer, Herbst und Winter

Breath (Soom, Süd Korea 2008, Kim Ki-duk) (DVD)

Eine Variation zum bekannten Thema: Die Konfligierung von buddhistischer Tradition und modernem Selbstverständnis. Dieses Mal verlegt Kim es in ein Gefängnis. Dort sitzt ein junger Mann in der Todeszelle, der seine gesamte Familie ermordet hat. Zusammen mit drei anderen Delinquenten wartet er auf seine Hinrichtung. Ob nun aus dem Willen zur Autonomie über das eigene Ende oder aus Reue vor der Tat: Er versucht sich mehrfach selbst zu töten; ein Akt von dem jedes Mal die Medien berichten. Auf diese Weise erfährt auch eine verheiratete Bildhauerin davon und entschließt sich, den Mann im Gefängnis zu besuchen. Dabei gestaltet sie das Besuchszimmer jedes mal nach einer Jahreszeit, erzählt dem schweigenden Gefangenen von sich, singt ihm etwas vor und beginnt eine zärtliche Annäherung, die schließlich in der körperlichen Vereinigung irgendwo zwischen Sex und Mord gipfelt. Voneinander getrennt, versucht das Paar seinen Alltag zu leben: Sie in ihrer offensichtlich unbefriedigenden Ehe, er in der steten Eifersucht seiner Zellengenossen. Am Ende der Erzählung kann nur der Tod der Beziehung und der Tod des Mannes stehen – darüber lässt der Film keine Zweifel.

Wie es Kim nach „Bin-jip“ abermals gelingt, eine Metaphysik der Zweisamkeit in eine Welt der Vereinzelung zu transportieren, ist meisterhaft. Langsam gerät man als Zuschauer in die Kreisbewegung der Erzählung hinein, sieht sich mehr und mehr mit den Figuren identifiziert und lernt mit ihnen zusammen die eigentlich bittere Lektion (nämlich loslassen zu müssen) als eine Transzendenz-Bewegung zu verstehen. Was die Frau mit dem Mann macht (und vielleicht er auch mit ihr) ist nichts anderes als ein rituelles Abschiednehmen; den Tod anerkennen ohne ihn zu fürchten oder herbeizusehnen – eine ars moriendi.

Und wieder einmal hängt das Gelingen der Erzählung an den drei Achsen Kamera, Erzählrhythmus und Schauspiel. Ist der Stoff bei Kim manchmal auch noch so banal (wie etwa in „Samaria“ oder „Hwal“), so ist es die Ausführung niemals. Fast ist man zu Tränen gerührt angesichts des nahen Beieinanders von Kitsch und aufrichtigem Gefühl – etwa beim sehr amateurhaften Vortrag der Jahreszeiten-Lieder der jungen Frau. Dass die Affektproduktion nicht überzogen oder gar kalkuliert wirkt, liegt an der Kamera, die genau in diesen Momenten eben nicht bloß mimetisch mitfilmt (oder schlimer: mit tanzt), sondern die Situation ganz bewusst bricht, indem sie eine zweite Kamera filmt – die Überwachungskamera des Besucherraums – und damit zeigt, dass es ein Film ist, den wir sehen, dass dieser Ritus vor Fototapeten stattfindet, dass die Musik aus einem kleinen Kofferradio kommt. Und trotzdem ist da mehr, nämlich das Mehr, das zwischen den beiden Figuren entsteht und durch das diese Inszenierung (in der Inszenierung) authentisch wird.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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