So hell der Tag …

Jonathan (D 1970, Hans W. Geissendörfer) (DVD)

Einen kleine filmhistorische Rarität hat Kinowelt da vor einiger Zeit ausgegraben: Einen deutschen Vampirfilm von Geissendörfer, der Stokers „Dracula“-Roman mit einer manchmal etwas wirren Geschichte einer Revolte anreichert und damit den politischen über den sexual-moralischen Diskurs des Stoffes stellt: Jonathan wird ausgeschickt einer Bande von blutsaugenden Aristokraten den Garaus zu machen. Er verfängt sich jedoch zunächst in den politischen Wirren des Umlandes vom Schloss und wird dann von den Schergen des Grafen eingefangen und ins Verlies geworfen, wo er auf zahlreiche gefangene Bauern der Umgebung stößt, die zwecks Blutentnahme entführt und eingelagert wurden. Es gelingt ihm noch, die Gefangenen auf eine Revolte vorzubereiten, bevor Jonathan in Einzel- und Folterhaft kommt. Dann bricht der Sturm auf den Palast los und das Volk holt sich zurück, was ihm gehört: Seine eingesperrten Verwandten und sein Blut, das jetzt aber schon in den Adern der Aristokraten fließt. Der Graf und seine engste Gefolgschaft wird zum Ende im Meer ersäuft.

Wäre „Jonathan“ nicht so holprig inszeniert und mit derartig kitschiger Musik (endlos repetitive Arien schmiegen sich an Gassenhauer aus der Klassik-Boutique) untermalt, es wäre ein wirklich guter Film geworden. Die blassen Bilder, die Ausstattung, die Spezialeffekte (Splatter im Deutschen Film der 1970er!), die Verformung der Stoker-Erzählung. Das alles hat seinen Reiz. Von Vampiren wird nirgendwo gesprochen und um sich sicher zu gehen, dass man seinen Film nicht als Horrorfilm missversteht, lässt Geissendörfer seine Blutsauger am hellichten Tag in Jagdgesellschaften über die Felder streifen und Bauern abschießen. Irgendwie wirkt „Jonathan“ beklemmend und zeigt, wie wichtig ideologisch-politische Subtexte im deutschen Kino der 1970er-Jahre einmal gewesen sind. Aber man muss schon in der Stimmung für solch einen Film sein – und zu dieser gehört eben auch das Wohlwollen, über die Schwächen einfach hinwegzusehen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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