»Forget the World!«

Cloverfield (USA 2008, Matt Reeves) (Blu-ray)

Dass städtezermalmende Riesenmonster wie Godzilla als Sinnbilder für die atomare Zerstörung/Bedrohung der Zivilisation gelesen wurden und werden, ist ein interpretatorischer Gassenhauer. Aber immerhin einer, dem sich auch die Macher von “Cloverfield” nicht entziehen mochten. Denn als Produzent J. J. Abrams mit seinem kleinen Sohn Tokyo besuchte und dort einen Laden mit Godzilla-Spielzeug entdeckte, kam ihm sofort der Gedanke, dass Amerika auch solch ein lebendig gewordenes Sinnbild für den Untergang bräuchte. Immerhin hatte man als Anlass ja den 11. September 2001. (Christians Frage nach der kultur-kathartischen Funktion von postapoklayptischen Fiktionen ist also keinesweg unplausibel.)

Schon der Titel “Cloverfield”, der ursprünglich ein Codename für das Film-Projekt war, erinnert an die blumigen Euphemismen, mit denen die US-Amerikaner in den 1950er und -60er Jahren ihre Atombombentests betitelten (”Crossroads“, “Greenhouse“, “Redwing“, …) Der Film selbst, dessen Produktion wohl unter ähnlich strikten Geheimhaltungsregeln abgelaufen ist wie die Filmaufnahmen jener Atombombentests, codiert seine Holocaust-Metapher überaus wirksam: Ein seltsam entstelltes, in seiner Anatomie mit nichts aus der irdischen Fauna vergleichbares Riesenmonster verwüstet Manhattan. Die wenigen Male, die man es zu Gesicht bekommt, verursachen den Eindruck, dass es – wie Godzilla – selbst das Ergebnis atomarer Strahlung sein könnte. In Filmen wie “Them”, “King Kong” und anderen (die angeblich sogar mit einkopierten Einzelframes in “Cloverfield” “zitiert” werden) war der Riesenwuchs ebenfalls schon immer beides: Ergebnis der Bedrohung und Bedrohung selbst. Der Spezialeffekte-Designer hat sich die Frage gestellt, welche Motivation und welches Verhalten solch ein Lebewesen haben müsste, um eine derartig irrationale Zerstörungsorgie zu entfalten. Das Ergebnis seiner Überlegungen ist ebenso überraschend wie plausibel: Sein Monster sollte sich verhalten wie ein Neugeborenes, das sich völlig desorientiert in einer ihm fremden und feindlichen Umgebung wiederfindet und vor allem von einem Gefühl getrieben wird: Angst. Das Cloverfield-Monster ist also in Wirklichkeit keine kalkuliert zerstörende Invasionsmacht, sondern ein “Little Boy”, der alles unterschiedslos dem Erdboden gleichmacht.

Und ebenso schlägt das Monster auch in die Stadt ein. Die Frage einer Protagonistin, ob das wieder ein Terroranschlag sei, wird schnell verneint: Wir sehen es sich zwischen den Hochhäusern bewegen und eine andere Protagonistin will es sogar dabei beobachtet haben, wie es Menschen frisst. Zudem produziert das Monster Spaltprodukte, mannsgroße insektenartige Abkömmlinge, die die gesamte Stadt infiltrieren und sie unbewohnbar machen. Ein Biss von ihnen reicht und man zählt zu denjenigen, die von der Gruppe der Überlebenden isoliert werden müssen, weil man nun selbst zur Gefahr wird. Biologischer Fallout.

Welchen Wert besitzt eine derartige Überdeterminierung zumal, wenn (eine) ihre(r) Interpretation(en) von den Machern des Films gleich mit gestreut wird? Ist “Cloverfield” deshalb als Horrorfilm wirkungslos? Wirkungsloser als andere Filme, die dem Grauen keinen menschlichen Namen geben (etwa Scotts “Alien”)? Ich glaube kaum. Vielmehr ist es diese Überoffensichtlichkeit selbst, die die Angst erst schürt. Die Unausweichlichkeit des Wissens, das sich mit dem Vorwissen aus Film- und Militärgeschichte paart: Eine Bedrohung, die klar und deutlich und absolut unabwendbar ist. Die Frage, die “Cloverfield” angesichts dieser Offensichtlichkeit stellt, ist, wie sich die Menschen zu ihr verhalten. Dass die ersten 20 Minuten des Films damit vergehen, dass das “rein Soziale” gezeigt wird – eine Abschiedsparty mit allen menschlichen Facetten – macht es deutlich: Hier sprengt das Monster ein Gefüge, von dem immer behauptet wurde, dass es umso fester zusammenwächst, je größer die Bedrohung von außen ist. Für den Atomkrieg, das zeigen auch die anderen postnuklearen Filme, gilt das nicht mehr. Und die Sprengkraft des Monsters zerschneidet dieses Gefüge ebenso nach Belieben und das, was davon übrig geblieben ist, wird im verzweifelten Versuch der Katastrophe Herr zu werden (”Hammer Down Protocol”) eingedampft.

Was übrig bleibt, sind die Medien. In der lange Geschichte des atomaren Holocausts im Film waren sie oft die ersten Zeugen und Indikatoren und die letzten Garanten für Zivilisation – solange noch jemand da war, der etwas mit ihnen anfangen konnte. (Der Film “Cloverfield” gibt vor, ein Archivband des US-amerikansichen Militärs zu sein. Das ist vielleicht der einzige, etwas fade Trost: Es gibt nach dem Monster immer noch ein Militär, das sich dagegen rüstet. Und wir sind die Überlebenden.) In der medialen Rückversicherung liegt auch hier die Hoffnung. Und diese Hoffnung wurde auf etlichen Ebenen gestreut: Kaum ein Film war von einem derartigen Medienrummel begleitet wie “Cloverfield”. Das virale Marketing, die gefakten Paratexte – alles Vorbereitung auf den Weltuntergang(sfilm). Wenn wir uns nur ein Bild davon machen können, ist er vielleicht nicht mehr so schlimm. Und das schließlich ist der Sinn postapokalyptischer Filme – ja von Film überhaupt -: ein Bild zu machen von dem, was man normalerweise nicht sieht, nicht sehen will oder nicht mehr sehen kann.

„Whatever it is. It wins.“

(Auch erschienen im Postapocalypse-Blog)

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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