Blick-Raum-Punkt

Bin-Jip (Süd Korea 2004, Kim Ki-duk) (DVD)

Auf einer Missionsreise in den Osten, deren Ziel es unter anderem war, denm Einheimischen die große Filmkunst Kims nahezubringen, habe ich nach langer zeit endlich wieder einmal „Bin-jip“ sehen können. Und wie in letzter Zeit oft, hat mir meine vertiefte Beschäftigung mit den Point-of-View-Theorien auch hier wieder neue Einsichten gebracht.

Dass es sich bei „Bin-jip“ um einen Film handelt, der den Zuschauerblick mobilisiert, hatte ich ja bereits in früheren Überlegungen angedeutet. Die Frage, wer denn eigentlich den Unsichtbaren sieht und was der Unsichtbare selbst sieht, ist jedoch diffiziler. Kims Film bereitet seine Zuschauer auf das Unsichtbarwerden des Protagonisten langsam vor, indem er den Zuschauerblick zum Verbündeten des schweigenden Paares macht. „Bin-jip“ erzählt seine Geschichte deshalb so furios in Bildern, weil er auf der Suche nach einer optischen „parole“ ist, die die Trennung zwischen dem Zuschauerraum und dem Filmraum auflöst. Diese Auflösung kann nicht durch die Sprache stattfinden, sondern benötigt einen Vektor, der in die dritte Dimension (also quasi nach vorn in Richtung der Leinwand) vordringt. Und das ist unser Blick.

Zum Ende von „Bin-jip“ sind wir immer noch die Komplizen des Paares, denn wir können sehen, was im Filmraum (außer den Liebenden) sonst niemand mehr sieht. Dass Tae-suknur noch von seiner Geliebten und von uns gesehen wird, liegt daran, dass er ganz Blick geworden ist. In seiner Gefängniszelle hat er geübt zu verschwinden, und das heißt im Film: Den Filmraum zu verlassen. Für uns wird das dadurch kenntlich gemacht, dass irgendwann nur noch eine subjektive Kamera da ist, die uns (s)einen Blick präsentiert, aber es im Gegenschuss nichts mehr gibt, dass sieht und angesehen werden kann. Der Gefängniswärter ist nicht nur deshalb so verdutzt und wütend, weil sich Tae-suk vor ihm versteckt, sondern weil seinem Schuss kein Gegenschuss mehr folgt. Der Deutsche Titel ist irreführend: Es sind nicht „leere Häuser“, es sind „blickvolle Häuser“.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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