»Wo hast du hingesehen?«

High Tension (Haute tension, F 2003, Alexandre Aja) (DVD)

In seiner Point-of-View-Theorie akzentuiert Jacques Aumont vor allem den Widerspruch, dass Filme zumeist als Plotkonstrukte „gesehen“ werden, obwohl doch schon bereits ihre medienhistorische Genese (sowohl der Vorläufer in Bildender Kunst, Malerei und Literatur) als auch die Filmgeschichte selbst zusehends auf ein „Erzählen“ des Bildes insistiert, das sich immer mehr von einem „narrativen Point of View“ zu einem „prädikativen Point of View“ verschiebt, in welchem der Film die Haltungen seines Autors transportiert oder zumindest wahrnehmbar und diskutabel macht.

Diese Überlegung an Ajas „High Tension“ zu spiegeln, war wirklich fruchtbar, denn selten bekommt man einen Film mit einem derartig eindimensionalen, geradlinigen und unoriginellen Plot zu Gesicht, der auf der Bildebene jedoch so unglaublich vieles zu bieten hat. Die Bilder „High Tensions“ stehen dem Plot diametral entgegen, entwickeln Komplexität, Referenzialität und Selbstreflexivität. Während sich die Erzählung in eine alogische „Auflösung“ manövriert, der man selbst mit Point-of-View-Theorien (wie der Brainigans) nur schwer zu Leibe rücken kann, weil der Zuschauer eben der einzige ist, der den „falschen Blick“ hat, entfalten die Bilder eine schon fast essayistische Potenz: Hier wird über die Eigenschaften des Horrorfilms „sinniert“, in den stets dichter werdenden Räumen, den immer näher an die Objekte heran rückenden Blicken (Einstellungsgrößen) der Attraktionszwang des Affektkinos durchgespielt und selbst in der Derbheit der Splatter-Effekte ließe sich eine moralische Fragestellung – wieder einmal die des Retributivismus – finden: Wie oft muss man mit einer Stacheldrahtkeule auf den Mörder einer ganzen Familie einschlagen? 17 mal oder reichen 5 mal?

Eine sehr schöne Beobachtung eines Teilnehmers der Übung: Die Exposition des Films steht in stilistischer und narrativer Nähe zu der von Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“. Da werde ich bei Gelegenheit noch einmal einen Blick drauf werfen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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