Die Spur führt zurück

Untraceable (USA 2008, Gegory Hoblit) (PV Ufa Köln)

Kein Serienmörderfilm „der neuen Generation“, sondern einer, der die letzte Generation spiegelt, in sich aufnimmt und verarbeitet. „Untraceable“ steht in einer Reihe mit „Frauenfilmen“ wie „The Silence of the Lambs“, „Copykill“ oder „The Cell“. Die weibliche Ermittlerin ist eine erwachsen gewordene Clarice Starling, die sich nicht nur mit neuen medialen Bedrohungsszenarien konfrontiert wird, sondern die ganz neuen Qualitäten eigener Verwundbarkeit umzugehen lernen muss. „Untraceable“ hat viel aus den drei erwähnten Filmen gelernt und übernommen – jedoch so, dass es nie als Zitat erscheint, sondern stets als Weitergedachtes. Das fängt bei der „Home Invasion“-Thematik aus „Copycat“ an über das „Serienmord als Kunstinstallation“-Motiv aus „The Cell“ bis hin zu Montagetricks und Figurenentwicklungen aus Demmes Film.

Über Stefan Höltgen

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12 Antworten zu Die Spur führt zurück

  1. Thomas H. sagt:

    Nachdem ich nun den abscheulichen Thriller von Hoblit gesehen habe, würde mich doch noch Wunder nehmen, was denn die Serienmörderfilme der neuen Generation sind? Sollen das die Folterpornos wie «Saw» und «Hostel» sein? Da unterscheidet sich «Untraceable» von den Folterszenen her nur wenig davon.

  2. An der Diktion lässt sich ja schon leicht erkennen, dass da eine Menge Emotionen und Aversionen im Spiel sind. Begriffe wie „abscheulich“ und „Folterpornos“ (was soll das denn sein?) natürlich ’ne schlechte Basis für eine argumentative Auseinandersetzung. Insofern lasse ich dir dein Geschmacksurteil.

  3. Thomas H. sagt:

    Der Begriff Foltorporno dürfte dir sicher schon begegnet sein, daher erübrigt sich eine Erklärung – zumal der Ausdruck ziemlich selbsterklärend ist. Mit diesem Begriff möchte ich aber die damit bezeichneten Filme keinesfall be- oder abwerten. «Untraceable» finde ich nämlich im Gegensatz zu «Hostel» abscheulich, weil der Film eine negativ wertende Position gegenüber der Blutlust einnimmt, aber durch die visuellen Methoden genau diese Lust bedient. Dazu würde mich deine Meinung durchaus interessieren, aber diesen Aspekt hast du in deinem Eintrag ausgelassen. Die Frage nach den Serienmörderfilmen «der neuen Generation» lässt sich ausserdem jenseits von Geschmacksurteilen beantworten.

  4. Ich finde den Begriff „Toture Porn“ hochgradig problematisch, weil er zuallererst eine moralische Haltung transportiert (ob da dem Porno-Genre, den betroffenen Horrorfilmen oder der vermeintlichen „Haltung“ der Zuschauer mehr Unrecht durch getan wird, mag ich nicht entscheiden). Deshalb verbietet sich für mich dessen Benutzung in einer ästhetischen Debatte.

    Aber zur Sache:

    Mit „Serienmörderfilmen der neuen Generation“ meinte ich tatsächlich Filme, die den Zuschauer über ihren Status als Fiktion verunsichern wollen. (Passendes Beispiel ist für mich hier „The Last Horror Movie“.) „Untraceable“ zählt für mich schon allein wegen der de-authentisierenden Erzähl- und Darstellungsweise nicht dazu. Die Figuren sind sehr klassisch entwickelt, der Plot verfährt auf geraden Bahnen und ist bis zum Ende vorhersehbar. Kamera, Musik und Licht reihen sich nahtlos in das kontemporäre Hollywood-Erzählkino ein. Ein massenkompatibles Erzählprodukt, wie es im Buche steht, würde ich sagen. (Und genau darin „Silence of the Lambs“ und den anderen oben zitierten so ähnlich.)

    Die Stellungnahme des Films gegenüber seinem Gegenstadt („Das Internet hat die Menschen zu Monstern gemacht.“) ist natürlich überaus reaktionär – aber für mich eben auch ein Indikator dafür, dass dieser Serienmörderfilm einmal mehr als Schablone für kulturelle Ängste dient. (Dazu dient der Serienmörderfilm immer schon.) Ich habe genau diesen Punkt in meiner telepolis-Kritik, die nächsten Donnerstag erscheint, ausgeführt. Ich sehe das erst einmal völlig wertneutral – stelle es nur fest.

  5. Thomas H. sagt:

    Die Skepsis gegenüber der Bezeichnung «Folterporno» kann ich insofern nachvollziehen, als dadurch der Eindruck von gewalttätigen Sexfilmen entsteht. Hinsichtlich Filmen wie «Hostel» oder sogar «The Texas Chainsaw Massacre: The Beginning» (2006) erachte ich diese Analogie aber dennoch zutreffend. In Pornos werden Sexszenen zur Stimulation der Betrachter simuliert, in «Hostel» werden Folterszenen zur Stimulation der Betrachter simuliert. Die Befriedigung findet zwar klar auf einer anderen Ebene statt, deckt aber offensichtlich in beiden Fällen ein Grundbedürfnis des Publikums ab. Ich denke, dass David Edelstein (hat er wirklich diesen Begriff geprägt?) diese Bezeichnung in erster Linie ironisch verwendet hat. Welcher Begriff sollte denn für diese Art von Horrorfilmen, die sich nicht zu den Splatterfilmen einteilen lassen, verwendet werden?

  6. Siehst du: Genau da wird es für mich unscharf. Ich weiß nichts von irgendwelchen „Grundbedürfnissen“ des Publikums, die über schlafen und essen hinausgehen und ein Bedürfnis nach Gewaltdarstellungen (das mit der „Pornografisierungsvokabel“ ja tatsächlich impliziert wird), halte ich für überaus spekulativ und durch medienwirkungstheoretische Ansätze auch anzweifelbar. Vielmehr offenbart sich in dieser Verwendung doch eine „3rd-Person“-Perspektive: Derjenige, der das so benutzt, unterstellt, dass er selbst veilleicht nicht, aber viele andere vom Film auf eine para-sexuelle Weise stimuliert werden (mit welchem Ergebnis auch immer). Dass die Filme eine Schaulust auslösen, bei der man sich an der Gewalt auf eine Art und Weise stimuliert, wie man es bei pornografischen Darstellung könnte, das scheint mir eine Überlegung zu sein, die eher die allgemeine Gefährlichkeit von Horrorfilmen und dann deren Zuschauern behauptet und damit der Zensur das Wort redet.

    Ich sehe in dieser Hinsicht keinen strukturellen Unterschied zwischen Filmen wie „Saw“, „TCM The Beginning“ und etwa Bogdanovichs „Moving Targets“ oder Hitchcocks „Psycho“. Ich würde diese Filme nach einer an die Gothic-Novel-Theorie angelehnten Terminologie als „Terrorfilme“ bezeichnen: Filme, in denen Angst und Schrecken („Terror“) von einer nicht-fantastischen Bedrohung ausgeht.“ Ob die nun als mehr oder weniger bedrohlich empfunden wird, kann nur jeder für sich (und nicht irgendjemand für dritte) entscheiden. Du siehst die Diskrepanz ja schon in unserem Dialog: Während ich „Untraceable“ eher so „bedrohlich“ wie „The Cell“ finde, vergleichst du ihn mit „Saw“, der wesentlich stärkere Affektreaktionen bei mir hervorgerufen hat.

    (Splatterfilme sind noch mal ein ganz anderes Thema.)

  7. Thomas H. sagt:

    Unschärfen sind höchstens in einem perfekten System vermeidbar. Aber ich gebe zu, dass Grundbedürfnis eindeutig die falsche Formulierung ist. Eine Lust wird dennoch befriedigt. Die ist vermutlich nicht sexuell, aber Hormone werden ganz bestimmt ausgeschüttet. Folterfilme würde es gar nicht geben, wenn sie nur von Personen geschaut werden, die an einer nüchternen Untersuchung interessiert sind. Dann wäre das Publikum viel zu klein.

    Eine analytische Auseinandersetzung mit den Filmen ist ja schön und gut, letzten Endes jedoch auch ein wenig weltfremd. Ich behaupte nicht zuletzt aus eigener Erfahrung, dass sich die meisten Menschen die Horrorfilme wegen ihrer physischen Wirkung anschauen. Weil sie eben Schrecken auslösen. Auch du sprichst von «Affektreaktionen». Ich gebe gerne zu, dass ich Lust auf Horrorfilme habe. Allerdings bevorzuge ich die weniger expliziten Subgenres. Aber: ich habe Lust auf Schrecken. Dieses «Bedürfnis» ist tatsächlich früher einmal von Shelleys «Frankenstein» oder Erzählungen von Poe abgedeckt worden, und noch viel früher auch durch öffentliche Folterungen von Verurteilten und Zirkusspiele. Heute wird nun in Filmen erschreckt (in allen Abstufungen).

    Jetzt sehe ich mir erst einmal ein wenig Herschell Gordon Lewis an und werfe dann vielleicht noch einen Blick in «The Cell» und ein paar andere Terrorfilme. Zumindest «Hostel» werde ich aber weiterhin als Folterporno bezeichnen.

  8. > Folterfilme würde es gar nicht geben, wenn sie nur von Personen geschaut werden, die an einer nüchternen Untersuchung interessiert sind. Dann wäre das Publikum viel zu klein.

    Es gibt ja noch ein paar Abstufungen zwischen hormoneller Erregtheit und nüchtern akademischer Betrachtung, würde ich meinen. Manch einer mag Spaß an der eigenen Furcht haben, manch einer sucht seine Geschmacksgrenzen, mancher ist mit abjektem Humor gesegnet, … Dass da überall Hormone fließen, ist sehr wahrscheinlich; von Adrenalin bis Testosteron ist es allerdings ein weiter Weg. Ich würde bei ästhetischen Fragen am liebsten jede Biochemie außen vor lassen, weil die nichts über die Filme, sondern allenfalls etwas über Einzelpersonen zu sagen im Stande ist.

    > Eine analytische Auseinandersetzung mit den Filmen ist ja schön und gut, letzten Endes jedoch auch ein wenig weltfremd.

    Das kommt ganz auf die Welt an, in der man lebt.

    > Zumindest «Hostel» werde ich aber weiterhin als Folterporno bezeichnen.

    Ich werde wohl dabei bleiben, allein Filme wie „Niku daruma“ als Folterpornos zu bezeichnen – weil die meisten anderen eben keine sind.

  9. Thomas H. sagt:

    > Eine analytische Auseinandersetzung mit den Filmen ist ja schön und gut, letzten Endes jedoch auch ein wenig weltfremd.

    Hinter diesem Satz steht wohl ein unglücklich verknappter Gedankengang. Eine rein analytische Auseinandersetzung kann natürlich sehr ergiebig sein, sei es über die Äthetik oder die Erzählstrukturen. Dabei muss die Wirkung der Bilder auch gar nicht berücksichtigt werden. Es stellt sich aber trotzdem die Frage, ob der Faktor der Schaulust vollkommen ausgeklammert werden kann oder darf.

    Das illustriert etwa «Audition». Zwischen die Folterszenen sind Aufnahmen vom masturbierenden Ballett-Lehrer geschnitten. Wie soll nun diese Bildfolge ohne Berücksichtigung des durch die Folter (Sadismus) ausgelösten Reizes erklärt werden? Hier wird – wie auch an anderen Stellen im Film – Erregung durch Furcht und Schmerzen mit Stimulation zu Sex klar durchmischt. Da muss doch bei der Untersuchung der Zusammenhang zwischen Reiz und Wirkung ebenfalls betrachtet werden?

  10. „Audition“ steht noch auf meinem Sichtungsplan. Aber ich denke, ich weiß, was du meinst. Es gibt natürlich im Wesentlichen zwei „Sichtweisen“ auf Film: eine versinkende, emotional teilnehmende und eine (mehr oder weniger stark abstrahierende) analytische. Ob man sich zwischen beiden Sichtweisen entscheiden muss, weiß ich nicht. Ich ziehe mittlerweile nicht geringen Genuss aus zweiterer, durchlebe aber auch nicht selten (gerade bei Horrorfilmen a la „Hostel“ u. ä.) einen „Rückfall“ in erstere. Wenn ich im Kino bin, dann nehme ich eigentlich meistens mehr teil, als dass ich abstrahierend schaue.

    Darüber hinaus gibt es natürlich gerade auf dem Gebiet der Rezeptionsforschung aber auch bei den so genannten „Affekttheorien“ analytische Sichtweisen, die das Teilnehmen speziell in den Fokus nehmen. Da habe ich auch ein wenig zu gearbeitet, weil ich auch denke, wie du richtig sagst, dass ein Horrorfilm, den man nicht unter der Perspektive des „Horror-erzeugens“ schaut, nicht vollständig in seiner medialen Funktion erfasst werden kann. Ich versuche dabei aber immer, nicht deduktiv vorzugehen, also aus meiner Rezeption eine „Theorie“ zu entwickeln, die erklärt, was andere erleben; genauso scheint es mir aber auch unmöglich, induktiv „die“ Wirkung eines Films aus der Summe einzelner Beobachtungen zu ermitteln.

    Das Denken über Wirkungen muss meines Erachtens notwendigerweise eine „Theorie mittlerer Reichweite“ bleiben, die sich nicht anmaßt das Erleben aller zu erklären aber auch nicht in den Solipsismus verfällt, nur über m/sich selbst zu sprechen. Ich habe das im Laufe meiner Arbeit über Serienmörderfilme dann mit Hilfe einer diskursanalytischen Reduktion versucht zu lösen, in dem ich mich auf bestimmte Äußerungstypen (Filmkritiken) zu bestimmten Zeiten (zeitgenössische Kritiken) konzentriere, so dass ich zumindest eine Tendenz im Interdiskurs (also der journalistischen Auseinandersetzung) zu einem Einzelfilm bekommen habe.

    Das war jetzt abstrakt. In unserem konkreten Diskussionsfall heißt das aber nur, dass ich mir keine Gedanken über Wirkungen machen kann, die ich nicht bei mir selbst festgestellt habe (oder den Paratexten zum Film – der Presse etc. – entnommen habe. Das habe ich bei „Untraceable“ aber nicht gemacht.) Wenn wir uns nun ins Zwiegespräch begeben und darüber sprechen, wie wir den Film wahrgenommen haben und warum wir den so unterschiedlich „erlebt“ haben, dann würden wahrscheinlich bald Faktoren in die Debatte kommen, die vom Film abgelöst mehr über uns und unsere psychischen Prädispositionen mitteilen. Es gibt Filme, die ich kaum zu sehen ertragen kann (etwa Kieslowskis „Drei Farben: Weiß“), wo andere mir völligem Unverständnis drauf reagieren. Da würde ich gar nicht erst versuchen das aus der Ästhetik des Films heraus zu erklären. Andersherum kann ich dir aber auch nicht absprechen, dass du die Morde in „Untraceable“ als grausamer erlebt hast, als ich. Ich würde nun aber auch nicht konstatieren, „Untraceable“ sei per se „wirkungslos“. Du bist ja ein Gegenbeispiel (so wie ich vielleicht ein Gegenbeispiel dafür bin, dass „Untraceable“ nicht von jedem als „Tortur“ empfunden werden muss).

  11. Thomas H. sagt:

    Dem Theoretischen kann ich nur noch zustimmen. Schliesslich gibt es so viele Filmerlebnisse, wie es Filmbetrachter gibt. Und das kannst du bedeutend stilvoller und geordneter ausdrücken als ich.

    Beim Praktischen muss ich vielleicht ausführen, dass ich die Morde in «Untraceable» nicht grausamer erlebt habe als in anderen Filmen (wobei in «Saw», «Hostel» oder auch «The Cell» und «Audition» ja hauptsächlich brutal gefoltert und nicht so drastisch gemordet wird). Das Abscheuliche an «Untraceable» finde ich vor allem die oberflächliche Verurteilung des Voyeurismus bei gleichzeitiger Bedienung eben jenes Triebs. Diesen zweifelhaften Spagat bezeichne ich sogar als verwerflich. Gerade weil mich diese Haltung des Films abgestossen hat, haben mich die Foltermorde gar nicht mehr berührt. Vermutlich wären sie weniger deutlich inszeniert um einiges wirkungsvoller gewesen (guter Vergleich dazu ist auch wieder «Audition»).

    Jetzt frage ich mich natürlich, wieso «Trois Couleurs: Blanc» unansehnlich ist? Inhaltlich, ästhetisch? Oder einfach wegen der Enttäuschung, dass der zweite Teil der Trilogie nicht mit «Bleu» ebenbürtig ist.

  12. Das, was du an „Untraceable“ da kritisierst kann ich nicht nur verstehen – ich stimme dem sogar ausdrücklich zu: Der Film nimmt eine überaus reaktionäre Haltung, was das Anklagen des Zuschauers angeht, ein. (Darin ähnelt er übrigens sehr „Funny Games“ von Haneke). In meiner telepolis-Kritik, die heute erschienen ist, greife ich das auf und versuche es als ein Symptom kultureller Angst vor dem Neuen (vor allem vor neuen Medien) zu verstehen. Dort bewerte ich es allerdings nicht, sondern „verstehe“ es als eine Strategie, die dem Serienmörderfilm von Beginn an innewohnt. (Schon Paul Leni hat 1924 mit Jack the Ripper in „Das Wachsfigurenkabinett“ die Angst vor der hyperrealistischen Darstellung von Verbrechen in Wachs hingewiesen).

    Zu „Weiß“: „unansehnlich“ nur im doppelten Wortsinne, dass ich ihn mir nicht ansehen kann. Darüber möchte ich aber hier nicht sprechen/schreiben. Es ist – wie gesagt – ein sehr persönliches Thema. Ich verhehle aber nicht, dass ich Kieslowski überdies für einen unterträglichen Moralisten halte.

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