Familiengräber

Fido (Kanada 2006, Andrew Currie) (DVD)

Das Offensichtlichste fällt – Poes „entwendeter Brief“ belegt das – selten gleich auf. Und so ist das auch mit einem im Zombiefilm seit den Anfängen vertretenen Motiv, das mir bis zur neuen Sichtung von „Fido“ nicht aufgefallen wäre, hätte es mein Filmabend-Gast Benjamin nicht zuerst bemerkt: Zombiefilme sind zuallererst immer auch Familienfilme. Vom Besuch der Kinder am Grab des Vaters und dem späteren Drama im Keller in „Night of the living Dead“ über die Warnhinweise in „Dawn of the Dead“, dass die zurückgekehrten zwar aussehen wie Verwandte, es aber nicht sind, bis hin eben zu „Fido“, in dem die selbe Warnung auch noch einmal formuliert wird: „This isn’t the man you married!“ – Das Familienthema lässt sich in vielfältigster Ausformung in den allermeisten Zombiefilmen finden. Die Frage war nun: warum?

Der Ansatz einer Antwort beginnt mit einem Kalauer, der mir unwillkürlich in den Sinn gekommen ist: Wenn ein toter Verwandter seiner Familie als Wiedergänger erscheint, dann hat das im Horror-Genre zumeist mit dem schlechten Gewissen der Überlebenden (zumeist Erben) zu tun. Der moderne Horrorfilm, der vor allem für sein schonungsloses Ausbuchstabieren latenter psychischer Mechanismen bekannt ist, macht diese „Gewissensbisse“ am Beispiel des Zombies manifest. Die Toten kehren zurück und holen sich das von den Lebenden, was sie nicht mehr haben: eben das Leben. Wo ist hier das schlechte Gewissen? Vielleicht in der Tatsache, dass seit der Säkularisierung der Tod eben nicht mehr als Übergang in das ewige Leben gesehen wird, sondern als definitives Ende. Der „Mehrwert“, den das Leben dadurch gegenüber dem Tod erhält, wird in den säkularisierten Gesellschaften zu einem ambivalenten Reichtum. Die Existenzialisten sehen sich ins Leben „geworfen“ (Heidegger), die Fatalisten finden keinen Sinn für eine endliche Existenz, an deren Ende alles verloren geht, was erworben wurde – allenfalls zugunsten eines (die ontogenetische Existenz überschreitenden) evolutionären Fortkommens und der ebenfalls nur auf Zeit angelegten Vermehrung des Reichtums der Erben.

Wenn der Tod aber nichts und das Leben alles ist, dann hat der Sterbende allen Grund neidisch auf die Lebenden zu sein. Und tatsächlich kennt die Sterbeforschung auch eine Phase des Zorns auf die Überlebenden. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Vermutung, dass das schlechte Gewissen der Lebenden gegenüber den Toten eine Projektion des eigenen Sterbens ist. Der Zombiefilm wird damit zu einem Was-wäre-wenn-Spiel, in welchem zwar nicht die Möglichkeit eines ewigen Lebens aber einer ewigen Zornes-Phase des Sterbens bebildert wird. Die „Hölle der lebenden Toten“ das sind die lebenden Anderen. Wenn der Tod, wie im Zombiefilm, Familienmitglieder trifft, die „noch nicht dran“ gewesen wären, also vor allem Liebespartner und Kinder, dann verstärkt diese Projektion noch den Eindruck der Sinnlosigkeit und Verschwendung von Ressourcen, Möglichkeiten und (familiär-emotionaler) Investitionen. Der Tod als abstraktes Phänomen wird gegenständlich und in der Unperson des zombifizierten Familienmitgliedes kalkulierbar. Mit dem neuerlichen Töten des lebenden Toten macht man ihn nicht nur zu einem toten Toten, sondern man schreibt ihn ab.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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