Das Monstrum der Authentizität

Cloverfiled (USA 2008, Matt Reeve) (Cinedom)

„Godzilla steht für die Atombombe.“ Das ist eine vulgär-filmwissenschaftliche Binsenweisheit. Ganz im Sinne der Kracauer’schen Spiegelhypothese, nach der Film stets die gesellschaftlichen Strukturen und manchmal auch Ereignisse reflektiert, werden die japanischen Monsterfilme seit je her als Parabeln der Atomangriffe auf Hiroshima und Nagasaki gelesen. Man mag die Eindeutigkeit, die solche Lektüren oft begleiten, kritisieren; die Tatsache, dass sich diese Lesarten bis heute tradiert haben und sogar ihren Rückfluss in die Erzählungen selbst gefunden haben (einige Monsterfilme sind dazu übergegangen, die Menschen-gemachten Naturkatastrophen in ihren Plots zu verhandeln und den Umweltverschmutzern „Urgiganten“ gegenüber zu stellen) ist unbestreitbar. Jüngstes Mitglied in der Monsterparabel-Filmfamilie ist Matt Reeves „Cloverfield“, der bei der Codierung seiner Katastrophe derartig ausgeklügelt vorgeht, dass er der selbstreflexive Schlusspunkt des bisherigen Monsterfilms zu sein scheint..

Die Autoren von „Cloverfield machen keinen Hehl aus ihrem Godzilla-Bezug. So schildert der Produzent J. J. Abrahams, dass er während eines Japan-Aufenthaltes mit seinem Sohn in ein Geschäft geraten ist, in dem Godzilla-Puppen verkauft wurden. „It struck me that here was a monster that has endured, culturally, something which we don’t have in the States“, äußert er sich im Presseheft zum Film. Und dabei verfügen die USA seit dem 11. September 2001 doch selbst über ein so übergroßes kulturelles Trauma, dass ein Parabel-Monster längt fällig und wahrscheinlich sogar hilfreich wäre:

„We live in a time of great fear. Having a movie that is about something as outlandish as a massive creature attacking your city allows people to process and experience that fear in a way that is incredibly entertaining and indredebly safe. I want to have that experience myself – to go to a movie that’s about something larger-than-life and hyper-real, and ‚Cloverfield‘ certainly is.“

Kann man sich, wie Abrahams es hier sagt, vornehmen, Angst mit Kunst zu bekämpfen und ein kulturelles Trauma offensiv ästhetisch zu be- und verarbeiten? Man kann – davon zeugt die Geschichte der Kunst-Psychologie und dass dazu nicht immer Therapeuten, sondern manchmal auch „Laien-Analytiker“ in der Lage sind, hat bereits Sigmund Freud gewusst. Kunst ist von je her ein probates Mittel gewesen, psychische und kulturelle Probleme zu verarbeiten. Ja, vielleicht das ja sogar der primäre Anlass Kunst zu schaffen. Dass die Produzenten von „Cloverfield“ gar kein Geheimnis daraus machen, warum sie einen solchen Film drehen, bestätigt nur, dass diese Funktion mittlerweile so stark reflektiert wird, dass sich ihrer jeder bewusst ist.

Doch der Film ist weit mehr als filmgewordene Kunstpsychotherapie. Er bricht das Monströse hinab auf die Perspektive des Einzelopfers, entwendet Hollywood den Überblick und zeigt eine Kamerafahrt von etwas mehr als 80 Minuten, einen Film, der im Aufnahmeapparat montiert wird, so Ellipsen erzeugt, die einen mitdenkenden Zuschauer fordern und Jump-Cuts am (im wahrsten Sinne des Wortes) „laufenden Band“ produziert. Der Zuschauer, der das mit ansehen muss, wird nicht nur durch die Perspektivität geschüttelt, er wird auch durch die Zeitsprünge gejagt. Eine atemlose Hatz, die mir beim zweiten Sehen regelrecht Übelkeit verursacht hat. Doch die Verwirrung des Bildes geht noch „tiefer“:

In „Cloverfield“ überlagert ein Film einen anderen, welcher palimpsestartig immer wieder an die Oberfläche dringt und den Zuschauer nötigt, ihn mit dem Monsterfilm in Beziehung zu setzen. „Cloverfield“ ist – mit diesen beiden Filmen auf dem Band – auch eine Reflexion über das Funktionieren von Katastrophenfilmen: die können nie nur im Großen, Erhabenen verharren, sondern müssen ihren Plot am Kleinen, am Einzelschicksal, am besten einer Liebesgeschichte entwickeln. („Titanic“ führt bravourös vor, wie das funktioniert.) „Cloverfield“ hat auch so eine kleine Geschichte, der er mit der großen verbindet und diese kleine Geschichte ist es, die auf dem „Film unter dem Film“ schlummert.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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