»Mirrors always have been friendly to me.«

Through a Looking Glass (USA 1976, Jonas Middleton) (DVD)

Zugegeben: Das ist der anspruchsvollste Pornofilm, den ich bislang zu Gesicht bekommen habe. Anders als andere „anspruchsvolle Spielfilme mit Hardcore“ (von Breillat bis „Shortbus“) ist „Through a Looking Glass“ ein Film, in welchem die Hardcore-Szenen einen dramaturgischen Sinn erfüllen – ja, ohne die sein Plot sogar gar nicht funkionieren würde.

Der Film erzählt von einer Frau, die als Heranwachsende von ihrem Vater missbraucht wurde. Die Übergriffe fanden stets in einem Raum im Dachgeschoss vor einem großen Jugendstil-Spiegel statt. In der erzählten Gegenwart lebt die Frau nun mit ihrer eigenen Familie immer noch im Haus ihrer Kindheit, mit dem sie zahllose „schöne Erinnerungen“ verbindet. Nachts erwacht sie häufig, geht in besagten Raum, stellt sich vor den Spiegel und beginnt zu halluzinieren, ihr Vater leben hinter dem Spiegel. Sie masturbiert dabei und findet sich mal in einer bizarren „Alice im Wunderland“-Pornowelt wieder; mal entsteigt ihr Vater der Spiegelwelt und vögelt mit ihr in jenem Raum. Als ihre eigene Tochter den Raum entdeckt und die magische Faszination, die von ihm ausgeht zusammen mit ihrer Jugendlichkeit die Alarmglocken bei der Mutter läuten lassen, beginnt sie, die Situation als Gefahr für sich und ihre Familie zu interpretieren und will das Haus so schnell wie möglich verlassen. Ihr Ehemann sieht jedoch keinen rationalen Grund für die Flucht und so kommt, was kommen muss: Die Mutter wird in die Spiegelwelt hineingezogen, die nun einer Hölle aus der Bildwelt Boschs gleicht (siehe Bild) und die Tochter entdeckt, auf der Suche nach der „verschwundenen“ Mutter den Spiegel, vor dem sie zu masturbieren beginnt …

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Angefangen bei einer recht tiefsinnigen Reflexion über Begehrenskonstellationen innerhalb der Familie (Freud!) und einer „Reflexion“ narzisstischer Wunschträume über Fragen der Verarbeitung und Verklärung traumatischer Kindheitserlebnisse bis hin zum Aufgreifen populärer „Haunted House“-Motive der Gothic Novel (die freilich auch stets in eine Deutungskonstellation mit Erinnerung, Trauma, Begehren und deren Topografisierung gebracht werden können) bietet „Throung a Looking Glass“ so ziemlich alles, was einen Horror- bzw. Mystery-Pornofilm interessant machen kann.

Die eingangs angesprochene Zweckhaftigkeit der Hardcore-Szenen leistet hier ein übriges zum Gelingen des Films. Nicht gerade oft und wenn, dann nicht in ausgedehnten Sequenzen und manchmal sogar ohne „Höhepunkt“ werden pornografische Aufnahmen in die Handlung eingebaut. Dort, wo sie auftauchen, ver(sinn)bildlichen sie aber zum Beispiel die Beschaffenheit der erotomanischen Vorstellungswelten der Protagonistin oder bebildern das Phänomen des „Besitzergreifens“ innerhalb des sexualpathologischen Diskurses des Films.

Das beginnt mit einer sagenhaften Kamerafahrt in der ersten Hardcore-Sequenz, in der zunächst nur ein Blick (eine Subjektive) aus Richtung des Spiegel auf die Vulva der vor ihm sitzenden Frau fällt, dann eine Hand aus der Spiegelwelt nach ihr greift und zwei Finger in sie steckt. Hier wird die Subjektive konsequent beibehalten und wir bekommen eine  kolposkopische Aufnahme des Vaginainnern zu sehen, die die metaphorische Dimension des Filmtitels offenbart und meines Erachtens eine der zentralen Funktionen von Pornografie transzendiert: die Durchbrechung von Blickgrenzen, das Erkunden der pornografischen „human Fuckmachine“ ohne die Entzauberung der weiblichen Lust.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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