FFF 2007: Achter Tag

Live!
Exte
The Messengers
The Retribution

Zu letzterem gab es dann auch den Podcast:

Live! (USA/GB 2007, Bill Guttentag)

Das Thema ist aus Filmen wie „Todesspiel“ hinreichend bekannt: Das Fernsehen hat die Grenzen des guten Geschmacks und der Moral hinter sich gelassen und sendet eine Spielshow, in der es um das Leben der Kandidaten geht. In „Live!“ wie die Entstehung dieser Show dokumentiert, ein Portrait der erfolgssüchtigen Programmredakteurin Katy gezeichnet und ihr Weg von der ersten Idee bis zur Ausstrahlung von einem Kamera-Team verfolgt. Dieses Kamera-Team – das Konzept ist aus TV-Serien wie „Stromberg“ bekannt – lässt nicht von seinem Gegenstand ab, verfolgt Katy auf Schritt und Tritt. Meint man zunächst, dahinter stecke eine intradiegetische Entlarvungsinitiative, sieht man sich schnell eines besseren belehrt: Das Team wird von der Macht und dem Geld korrumpiert und wechselt am Ende ins Lager der TV-Zyniker. Das ist aber leider nicht das Einzige, was bei „Live!“ wechselt, denn der Film lässt sein eigentlich interessantes und medienkritisches Paradigma fallen, als die so lange geplante Show ausgestrahlt wird. Jetzt sind die Bilder des live gespielten Russischen Roulettes interessanter als die unspektakulären Doku-Aufnahmen. „Live!“ verrät damit sein Projekt und verfällt in den zynischen Zeigegestus desjenigen, was er eigentlich dystopisch auf Distanz halten wollte. Schade.

Exte (Ekusute, Japan 2007, Sion Sono)

Der asiatische, speziell der japanische Horrorfilm ist nicht arm an Szenen, die Haare als Gegenstand des Horrors inszenieren. Der Grund hierfür liegt sicherlich in der sexuell ambivalenten Einstellung der Körperbehaarung gegenüber: Schambehaarung zu zeigen gilt als Tabu, weswegen sie einen nicht unerheblichen Status als Fetisch-Objekt genießt. Der Film weiß also, wo er seine japanischen Zuschauer packen kann. Dem westlichen Publikum muss das horrble Faszinosum jedoch verschlossen bleiben. Zwar sind einige jener Szenen, in denen den Protagonisten Haare aus allen möglichen Körperöffnungen sprießen und dann ein Eigenleben entwickeln ziemlich gruselig – das Drumerherum relativiert dies jedoch wieder. „Exte“ scheitert dann entgültig, weil er sich nicht entscheiden kann, ob er Horror oder Groteske sein will. Die schon beinahe albernen Einlagen, die sich gerade gegen Ende des Films häufen, hinterlassen mich zumindest mit einem Fragezeichen über dem Schopf.

The Messengers (USA 2006, Oxide & Danny Pang)

Eigentlich kann bei dieser Kooperation kaum etwas schief gehen. Die überaus erfolgreichen und im Gruselfilmgenre auch hierzulande renommierten Pang-Brothers produzieren in den USA einen Film mit Sam Raimis Produktionsgesellschaft „Ghost House“ und verpflichten dafür ein renommiertes Team (das bis zum Evil-Dead-Komponisten Joseph LoDuca reicht). Dass „The Messengers“ dann allerdings doch nicht gelungen ist, mag an der langen Produktionszeit mit den zahlreichen Änderungen gelegen haben. Der Film enthält zu viele gute Ansätze, die er nicht ausformulieren kann (etwa die Sache mit den Krähen oder die Beziehung zwischen der Teenager-Heldin und ihrem Freund) und liefert einen Haufen Ansätze, die gar nicht erst so weit kommen, dass es gruselig wird. Es kann aber auch an dem grundsätzlichen Problem asiatischer Horror-Stoffe für das westliche Kino adaptiert liegen: Jene Spezifika, die in einem Film wie „The Eye“ noch Quelle überbordenden Horrors gewesen sind (etwa das Spiel mit der Tiefenschärfe), verpuffen in einer US-Produktion wie „The Messengers“, weil sich der Horror im westlichen Kino mittlerweile aus ganz anderen Quellen schöpft. Von denen – etwa die zahlreichen Schockmomente – enthält der Film zwar auch einige, doch wirken diese in der eigentlich asiatischen Geister-Schuld-Sühne-Geschichte wiederum völlig deplatziert.

The Retribution (Sakebi, Japan 2007, Kiyoshi Kurosawa)

Kurosawas neuer Film ist dem von mir geschätzten „Seance“ vor allem in seiner Bildästhetik sehr ähnlich. Die Zuschreibung „Gruselfilm“ oder gar „Thriller“ (wie im Programmheft des FFF) ist völlig unzureichend bzw. unzutreffend, denn die Geister aus Kurosawas Filmen sind stets wesentlich mehr als sie darstellen, sie sind Sinnbilder für Emotionen, soziale Missstände, sogar für Orte und Zeiten. Der Grusel, der in „Retribution“ entsteht, ist daher auch mehr einer des „horror vacui“ – denn die von den Geistern verfolgten Menschen leiden zunächst an ihrer selbst verschuldeten Einsamkeit. Dass Kurosawa dieses Motiv in einen Serienmörder- und Geisterfilm verpackt, sichert ihm die Aufmerksamkeit des Publikums. Doch ist der Film erst einmal vorbei und der Oberflächenreiz verflogen, dann sind Kurosawas Geister in einem selbst. Über die Bildgestaltung und die dramaturgische Funktion der Bildparzellierung habe ich im Podcast gesprochen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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