»You’re not in Kansas anymore!«

Phantom Lady (USA 1944, Robert Siodmak) (VHS)

 

Als Siodmak 1939 Hals über Kopf aus Frankreich in die USA geflohen ist, hat er etwas zurück gelassen: seinen Serienmörderfilm "Pièges". Wenn man sich "Phantom Lady" anschaut, könnte man meinen, er habe dies als Gelegenheit genutzt, die Sache gleich noch einmal besser zu machen.

"Phantom Lady" erzählt die Geschichte des smarten Ingenieurs Scott Henderson (Alan Curtis), der in einer Bar eine mysteriöse Frau kennen lernt. Da seine Ehe nicht gerade rosig läuft, überredet er die Frau, deren Namen er nicht einmal kennt, mit ihm den Abend in einem Varieté zu verbringen. Als er nachts heim kommt, ist die Polizei in der Wohnung. Seine Frau wurde ermordet – erdrosselt mit einer seiner Krawatten. Und Scott hat kein Alibi, denn weder weiß er, wer die mysteriösse Frau, mit der er die letzten Stunden zusammen war, ist, noch kann sich irgend jemand, den Scott an diesem Abend über den Weg gelaufen ist, daran erinnern, dass er überhaupt eine Frau bei sich hatte.

So wird Scott (im Zuge eines unglaublichen Indizienprozesses) wegen Mordes an seiner Frau zum Tode verurteilt. Einzig seine Mitarbeiterin Carol (Spitzname: "Kansas", weil sie von dort kommt, gespielt von Ella Raines) glaubt an Scotts Unschuld. Und auch beim ermittelnden Polizisten Burgess (Thomas Gomez) drängt sich ein Verdacht auf: Die Indizienkette ist viel zu lückenlos und die mysteriöse Frau, auf die Scott beständig insistiert eine viel zu schlechte Ausrede für einen Mörder, der ein Alibi vorschiebt. Also machen sich beide auf die Suche nach der Frau und anderen Zeugen, die Scott mit dieser am betreffenden Abend gesehen haben. Erstaunlicherweise stirbt jedoch jeder Zeuge, kurz nachdem oder bevor die beiden ihn vernehmen können – ermordet von Scotts Freund Jack Marlow (Franchot Tone).

Marlow schließt sich Kansas und dem Polizisten bei der Suche nach der mysteriösen Frau an – beide ahnen nicht, das er in Wirklichkeit durch seine Anwesenheit die Zeugen, die er zuvor mit Geld zum Schweigen gebracht hat, nun daran hindern will, ihr schweigen zu brechen. Als Kansan schließlich in den Besitz eines wichtigen Beweisstückes gelangt, entschließt Marlow, sie umzubringen. Zuvor gesteht er ihr, dass er der Mörder von Scotts Frau ist, dass er aus Trieb gehandelt hat und aus Missgunst gegenüber seinem Freund Scott, der nur "ein einfacher Mensch" sei, während er als Künstler (Marlow ist Bildhauer) zu höherem berufen sei.

In der Erzählstruktur und der detektivischen Ermittlungsarbeit zeigt sich viel Bekanntes aus "Pièges" wieder. Drei Jahre später, als Douglas Sirk mit "Lured" ein Remake von "Pièges" anfertigt (ohne die filmische Vorlage zu kennen – er adaptiert einfach dasselbe Drehbuch), entsteht ein Film, der ganz deutliche Referenzen an Siodmaks weitaus berühmteren "Phantom Lady" trägt.

Die Darstellung des Serienmörders in "Phantom Lady" und der zentrale Dialog zwischen dem Inspektor und dem Mörder (von dem der Polizist noch nicht weiß, dass er der Mörder ist) weisen ein hohes Maß an Motivverknüpfungen zum voran gegangenen Serienmörderkino auf. Da wird auf psychiatrisches Wissen über Serienmord-Fälle verwiesen, der Polizist vergleicht den modus operandi des Täters mit denen von Landru und Jack the Ripper und der noch unerkannte Täter erleidet einen Nervenzusammenbruch nach dem anderen – besonders dann, wenn er mit dem eigenen Spiegelbild konfrontiert wird. Die "Gesichtsentgleisungen" Marlows erinnern stark an Fritz Beckerts (Peter Lorre) Grimassenschneiden aus Fritz Langs "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" usw.

"Phantom Lady" ist – neben "Arsenic and Old Lace" der Höhepunkt des frühen Serienmörderfilms, bei dem klassische Merkmale – vor allem der Eingang der Narration in den Stilkanon des "Film noir" – bereits angedeutet sind. Zwar ist die Erzählung streckenweise kaum nachzuvollziehen (wie kann der pathologische Killer kontrolliert haben, welchen Menschen Scott und seine mysteriöse Begleitung an dem Abend alles begegnet sind?), doch gerade in dieser Brüchigkeit verdoppelt sich offenbar die Sinnlosigkeit dieses Verbrechenstypus‘ aufs Ideale.

Weitere Informationen zu "Phantom Lady":

Joe McElhaney: Phantom Lady. In: Senses of Cinema
Dennis Schwarzt: "The Phantom Lady proved to be a boon to the German-born director Robert Siodmak’s career."
Infoseite mit Bildern: http://www.eskimo.com/~noir/ftitles/phantom/index.shtml

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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