»There is life in you. I can feel it!«

Lady Dracula (La Morte vivante, F 1982, Jean Rollin) (VHS)

Obowohl ich nicht viel von Rollin kenne, kann ich doch behaupten, dass seine Filme zu den außergewöhnlichsten des Genres zählen. Ganz so bedrückend wie "Pesticide" ist diese Vampir-Geschichte zwar nicht – in Atmosphäre und Inszenierung liegt sie jedoch auf gleichem Niveau.

Der Film beginnt abermals mit einem Umwelt-Skandal: Nachdem Arbeiter aus einer Chemie-Fabrik ihren giftigen Müll in den weitläufigen Katakomben eines Schlosses deponieren und dabei einen Unfall verursachen, gelangt die zwei Jahre zuvor verstorbene Catherine Valmont zu untotem Leben. Sie tötet zunächst die Arbeiter und steigt dann aus der Familiengruft in ihr ehemaliges Schloss hinauf, das nun – samt Mobilar – zum Verkauf steht. Als ihre Kindheits-Freundin Helene im Schloss anruft, um sich bei der Maklerin über den aktuellen Stand zu informieren, nimmt Catherine den Hörer ab, kann zwar nicht sprechen, spielt aber eine Spieluhr ab, die Helene kennt und zum Schloss eilen lässt. Dort trifft sie auf ihre somnabule Freundin, kann es kaum glauben, dass diese lebt und erfährt, dass sie nur durch Menschenblut am Untotsein erhalten werden kann. Sie beschafft ihr aus der Gegend immer mehr Opfer bis Catherine schließlich ihr Selbstbewusstsein und ihre Erinnerung zurück erlangt und entschließt diese Existenz nicht forführen zu wollen.

Das Vampir-Thema wird von Rollin hier auf originelle Weise seiner chauvinistischen Paradigment beraubt, indem er allein Frauen (und zwar jenseits jeder "Maskulinisierung") zu Protagonisten macht. Die Blutgier Catherines ist von Beginn an von moralisccher Ambivalenz gekennzeichnet: Dass sie wider eigenen Willen Menschen töten muss, zeigt der Film stets als Dilemma ihrer Existenz. Die entgegen gesetzten Pole von Eros (die Freundschaft/Liebe zu Helene) und Thanatos (Der Zwang zu töten und selbst zu sterben) liegen eng beieinander und bestimmen das Drama.

Und dieses Drama inszeniert Rollin mit schier unglaublicher Melancholie. Wieder einmal gibt es kaum Filmmusik (außer am Anfang, um eine Stimmung zu etablieren und während der Schlusstitel, um das schwermütige Gefühl über das finale Bild hinauszutragen), überwiegen die Sequenzen der Stille und des Schweigens, teilt sich der Horror mehr in den Blicken und Gesten als in den Taten mit. Sind letzere zwar durch äußerst detaillierte Gewalthandlungen bestimmt, so trüben sie doch zu keiner Zeit den Gesamteindruck des Films. (Hierin ist Rollins Film Morrisseys "Blood for Dracula" sehr ähnlich.)

"La Morte vivante" ist ein für die Entstehungszeit äußerst anachronistischer Film. Mit seiner Stille vermag er es nicht, sich im Splatterkino der frühen 80er Jahre einzufügen – er ragt wie ein Dorn aus der Liste der zeitgenössischen Beschlagnahmungen des deutschen Zensurindex heraus. Sein Kontrast muss den Sittenwächtern jener Zeit ganz schön auf den Zahn gefühlt haben. Ihre Reaktion ("Totalverbot") ist deshalb genauso hilflos wie armselig.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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Eine Antwort zu »There is life in you. I can feel it!«

  1. Stefan sagt:

    Gestern beim Schmökern in einem alten Seeßlen-Buch habe ich eine schöne Passage gefunden, die Rollins Stil auf den Punkt bringt:

    „Ihren kommerziellen Anstrich erhalten die Horror-Filme von Jean Rollin vor allem durch ihre freizügige Erotik, die der Regisseur freilich weniger spekulativ als im Sinne einer verfremdeten Ornamentik einsetzt. Alle anderen Elemente dagegen erscheinen auf den ersten Blick allen Erfolgsrezepten des kommerziellen Kinos entgegenzustehen: Die Stories der Filme sind sehr komplex, die Handlung verschlungen und Nebenhandlungen führen oft nur auf den Klimax eines schönen Bildes hin, um dann gänzlich fallengelassen zu werden. […] Die[] Bilder schafft Rollin mit sehr sparsamen Mitteln (er arbeitet mit einem sehr geringen Budget), aber gerade aus dieser Armut, aus dieser Beschränkung erwächst Rollins Stil; was andere durch gewaltige Bauten im Studio, Lichteffekte udn Kostüme schaffen, das findet er, die Einfachheit ist Grundlage seiner spezifischen Ästhetik.“

    aus: Seeßlen, Georg: Der Horrorfilm. Regisseure, Stars, autoren, Spezialisten, Themen, Filme von A-Z. München: Roloff und Seeßlen 1977 (Enzyklopädie des populären Films), S. 364.

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