»Just cut them up like regular children.«

Eraserhead (USA 1977, David Lynch)

Zwischen 1970 und 1977 entsteht in fünfjähriger Dreharbeit mit
Unterbrechungen und unter extrem schwierigen Produktionsbedingungen
David Lynchs erster Spielfilm „Eraserhead“. Vorbereitet wurde er in
mehrfacher Hinsicht durch das Frühwerk des noch jungen Regisseurs.
Seine kinetische Skulptur „Six Men getting sick“, sowie seine Kurzfilme
„The Alphabet“ und „The Grandmother“ verhalfen ihm nicht nur zu
Stipendien (etwa der AFI für „The Grandmother“), sondern etablierten
auch ein Motivinventar, auf das Lynch in Zukunft immer wieder
zurückgreifen und es ausbauen würde.

Figuren, mise-en-scène, Soundtrack, Handlung, … vieles hat
„Eraserhead“ mit dem 30-minütigen Kurzfilm „The Grandmother“ gemein.
Beides sind im engsten Sinne „Familienfilme“, die davon erzählen,
welchen Problemen die bürgerliche Kleinfamilie des 20. Jahrhunderts
ausgesetzt ist (gerade im Frühwerk ist Lynch damit Kafka sehr
verwandt). Die Störfaktoren, dringen von Außen in die
Familienstrukturen ein, brechen sie auf, atomisieren die Mitglieder,
isolieren sie zuerst emotional, dann räumlich. In „The Grandmother“ ist
dieser Prozess noch am Anfang: Der kleine Junge, von seine Eltern
unverstanden und vernachlässigt, „baut“ sich eine Großmutter: Er
schichtet einen Haufen Erde in ein Bett auf dem Dachboden, aus dem nach
und nach eine alte Frau wächst, die dem Jungen die Geborgenheit und
Nähe gibt, die er anderweitig nicht bekommt. Diese Schöpfung hat nichts
mit einem sexuellen Akt zu tun – sie ist eine „Kopfgeburt“, wie auch
die  Geburt in der Anfangsszene aus „Eraserhead“.

Man könnte denken, Henry sei dieser kleine Junge auf dem Weg zum
Erwachsenwerden. Nun ist es jedoch nicht mehr dessen eigene Familie,
sondern diejenige, die er zu gründen gezwungen wird und die Familie
seiner Freundin Mary. In ersterer begegnet er Schweigen und Frigidität,
in lezterer Hysterie und Promiskuität. Ist erste durch ein „Zuviel“ an
Bewegung gekennzeichnet, so mehren sich in letzterer katatonische
Zustände. Die Versuche Henrys, sich mittels mehrerer kleiner und großer
Dreckhaufen im Appartment eine neue echte Beziehung zu „züchten“,
scheitern. Einzig ein kleines Würmchen entsteht, in dessen „Schlund“ in
einer zentralen Traumszene Henry (dessen Perspektive stets mit der des
Zuschauers identisch ist) verschwindet und er dann sexuelle Erfahrung
aber auch damit verknüpfte Drohungen von Kontrollverlust und Tod
erfährt. Im „richtigen Leben“ bleibt Henry ein verlassener Ehemann, der
ein missgestaltetes Kind zu hüten hat, während die Welt um ihn herum
ein „Außen“ bleibt, an dem er nicht teilnimmt.

Die surrealistische Ästhetik des Films legt eine Interpretation seiner
skurrilen Ausstattung, Personen und Erzählung als Traumerfahrung nahe.
Der Träumer sei David Lynch selbst, legen die meisten Interpretationen
zum Film nahe: In „Eraserhead“ verarbeite er eine Sicht auf seine
Familie (Lynchs Tochter Jennifer identifiziert sich gar selbst mit dem
missgestalteten Kind – wurde sie als doch mit Klumpfüßen geboren). Die
Bilder entstammen seiner Traumwelt oder zumindest seinem Unbewussten.
Lynch selbst weist die biografischen Bezüge zwar weit von sich, nährt
sie jedoch damit, dass er seine Arbeitsweise am Drehbuch als „écriture
automatique“ beschreibt. Das Motivinventar des damals noch jungen
Malers, Bildhauers und Filmregisseurs auf Traumerfahrungen zu
reduzieren ist sicherlich möglich, verbaut jedoch einen
kunstgeschichtlichen Zugang, der bei „Eraserhead“ auf jeden Fall
verortbar ist – sowohl Buñuels/Dalís „Ein andalusischer Hund“ als auch
Francis Bacons Tryptichon „Die Studien“ könnten etwa für die Gestaltung
des Babys Pate gestanden haben. Zwar weist Lynch auch solche
Inspirationen von sich, doch unterstreicht er damit vor allem seinen
Versuch nach der Enigmatisierung seines Werks – und nach der Evokation
einer bestimmten Rezeptionsweise.

David Lynch will nichts erklären, er will, dass der Zuschauer sich über
den Autoren emanzipiert. Nicht nur für „Eraserhead“ hat er dies oft
genug betont. (Soll man auf ihn hören, oder hört man dann schon wieder
zu sehr auf ihn?) Im Zentrum der Rezeption von Kunstwerken soll die je
eigene Theorie des Zuschauers stehen. Die in seinem Werk immer wieder
aufflälligen Lücken und Ungereimtheiten sollen den Zuschauer nicht nur
mit Interpretationswillen „infizieren“ (ja, selbst die Paraphrase der
Handlung schon zu einem deutlichen Akt der Interpretation werden
lassen), sie sollen Lynchs Filme zusammen mit dem Zuschauer „wachsen“
lassen. Schaut man sich einen Film wie „Eraserhead“ über die Jahre in
Abständen immer wieder einmal an, so wird einem manches klarer und von
mancher Überlegung distanziert man sich. Das macht das Faszinosum
gerade dieses Films aus – sein persönlicher „Zugriff“ auf seinen
Protagonisten schafft Nähe mit dem Zuschauer, eine sehr fruchtbare Nähe.

Mit „Eraserhead“ ist Lynch frühe Filmphase beendet. In seinen späteren Filmen, wie
„Blue Velvet“ tauchen zwar viele Motive und Ausstattungselemente wieder
auf, doch das Gesamtbild ist ein anderes. Dunkelheit wird gegen
zumindest zeitweilige Helligkeit getauscht. Der „nicht zu Ende geborene
junge Mann“ (so nennt Georg Seeßlen Figuren wie Henry und Jeffrey)
tritt aus dem Schatten seiner Vergangenheit heraus. „Eraserhead“
scheint gleichsam Lynchs eigener Schatten zu sein. Die Unbill, die er
während der Dreharbeiten über sich ergehen lassen hat, haben sich
gelohnt. „Eraserhead“ zeigt einen Lynch, der sich noch unsicher ist –
die nachfolgenden Filme sind bereits Werke der ästhetischen
Emanzipation.

Stefan Höltgen

P.S. Ein Wort zur DVD von davidlynch.com:
Wer die Möglichkeit und das Geld hat, sich diese Edition von
„Eraserhead“ zuzulegen, sollte nicht zögern. Es ist sicherlich eine der
besten DVDs meiner Sammlung. Gerade die Schwarz-Weiß-Ästhetik des Films
verlangt nach hohen Kontrasten und glasklarem Bild –
Kompressionsartefakte, wie sie die britische (Vollbild-)DVD des Films
aufweist, sind nicht einfach „Störungen“, sondern verhindern einen
angemessenen ästhetischen Zugang zum Film!

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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