Der Mörder wohnt in Nr. 21

L’Assassin habite… au 21 (F 1942, Henri-Georges Clouzot)

Nachdem ich diesen frühen Serienmörderfilm nun endlich – mit der der dankenswerten Hilfe des „Filmgelehrten Christian Keßler“ – bekommen konnte, ist das erste Filmkapitel meiner Dissertation abgeschlossen.

Clouzots Film ist allem voran (man hört es schon am Soundtrack!) eine
Komödie – was angesichts des Sujets „Serienmord“ zwar erstaunt, aber –
siehe Capras „Arsenic and Old Lace
– auch nicht neu ist. Mit „Arsenic“ hat der Film darüber hinaus noch
einige andere Gemeinsamkeiten. So ist es vor allem die
Selbstreflexivität: „L’Assassin“ integriert die Paradigmen seiner
eigenen Dramaturgie in seine Handlung, was besonders deutlich in jener
Wohnzimmer-Szene (38. Minute) in der „Pension des Mimoses“ wird: Eine
der Mitbewohnerinnen, von Profession Krimiautorin, legt die komplette
Erzählung des Films als ihre Idee für einen Krimi dar – und wird, bevor
sie dies fiktionierend voraussehen kann, das nächste Opfer des Täters.
In dieser Figur hat sich der Autor der Romanvorlage via verdeckter Metalepse in seinen eigenen Stoff „eingeschrieben“. Damit hätte Cravens „Scream“ bereits einen zweiten Vorläufer in dieser Hinsicht bekommen.

Grundlegend neu an „L’Assassin“ scheinen mir die Tätersubjektiven, die,
dadurch, dass es ja nicht ein sondern drei Täter sind, als gezieltes
Moment der Zuschauerverwirrung eingesetzt werden. Auch der
vordergründig inszenierte „Whodunnit“, der sich vor allem in den
Ermittlerfiguren (klassische Kriminologie durch Detektiv Pussot,
modernes Ermittlertum duch Inspektor Wes) offenbart, wird durch diese
Täterdreifaltigkeit desavouiert.

Clouzots Film wendet sich subtil auch gegen die 1942 Frankreich besetzenden Nazis (Clouzots nachfolgender Film „Der Rabe
wurde von diesen sogar zensuriert): Die Ansprache eines der
Verdächtigen kurz vor oben geschilderter Szene, dass er den Mörder nur
zu gut verstehen kann, weil dieser alles „unwerte Leben“ auslöschen
will, ist recht sarkastisch geraten – zumal der Sprechende selbst stark
hinkt (soweit, in dieser Figur eine Anspielung auf den hinkenden
Agitatoren Joseph Goebbels sehen zu wollen, gehe ich jedoch nicht :-D).

Insgesamt ist „L’Assassin“ ein fast schön überdrehter Beitrag des noch
jungen Genres, der ganz deutlich belegt, dass selbstreflexive Momente
von Beginn an zum Serienmörderfilm gehören.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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