Full Metal Jacket

Full Metal Jacket (GB 1987, Regie: Stanley Kubrick)

Der wohl „dichotomste“ Film in Kubricks Oeuvre. Mehr noch als bei
„Clockwork Orange“ ist die Zweiteilung hier narratives Prinzip geworden
– hat sich die Struktur der Montage in die die Struktur des Plots
eingeschrieben.

Kubrick wirft einen analytischen Blick auf Krieg und Gewalt. Beide
Themen ziehen sich durch sein Werk – seit „Clockwork Orange“ gilt er
als „gewaltfasziniert“ und hat kriegerische Auseinandersetzungen, die
durch die gesellschaftliche Legitimation die abstruseste Form der
Gewalt darstellen, mehrfach in seinen Filmen thematisiert (Spartakus,
Paths of Glory, Barry Lyndon). Doch anders als in diesen Filmen dient
Kubrick der Krieg in „Full Metal Jacket“ nicht als moralische Handlung,
die es zu bewerten gälte, sondern als ein „Umstand“, der die extremen
kulturellen Verhaltensmuster der daran beteiligten offenzulegen im
Stande ist. „Full Metal Jacket“ handelt zwar vom Krieg, ist aber kein
Kriegsfilm.

Das dichotome Muster zeigt sich natürlich am offensichtlichsten in der
Zweigeteiltheit des Films: Die erste Hälfte auf der „Insel“ (Parris
Island), die zweite in Vietnam. Ist der Krieg in der ersten Hälfte noch
mehr „spielerische Möglichkeit“ und die Gewalt psychologischer Natur,
so ist der Häuserkampf in Hue all seiner psychologischen Implikationen
entbunden reine, nackte, physische Gewalt. Kubrick kontrastiert diesen
Gegensatz durch einen eigenartigen Bezug zur Religion und ihrer
Himmel-Hölle-Dichotomie:

Die erste Hälfte des Films ist angefüllt mit religiösen Anspielungen
und Aussagen. Vor allem Ausbilder Hartman bedient sich immer wieder der
Religion, um seine Rekruten für den „heiligen Krieg der Kulturen“
einzuschwören:

  • „You will be a minister of death, praying for war.“
  • „Do you believe in the virgin Mary?“
  • In seinen Flüchen: „Holy Jesus“ bzw. „Jesus H. Christ“
  • „God has a hard-on for marines … we keep heaven packed with fresh souls“
  • „you are Marines – you are part of a brotherhood.“
  • „the Marine corps will live forever.“

Die Ausbildung der Marines untersteht also einem „höheren Zweck“.
Nachdem die Rekruten den „Himmel“ (Parris Island) als Hölle
kennengelernt haben, muss ihnen die Hölle wie der Himmel vorkommen. Und
tatsächlich ist Joker, der in Vietnam mit dem Allerschlimmsten –
nämlich der willkürlichen Gewalt – konfrontiert wird, völlig
unerschrocken und akzeptiert sogar die Antwort des aus dem Hubschrauber
auf Zivilisten schießenden Soldaten ohne Widerspruch: „War is hell.“
Die Hölle beim Anderen ist der Himmel des Anderen (in dieser Hölle
betet am Schluss die Vietnamesin, was die Anwesenden sichtlich
verwundert). Durch die Legitimationsstruktur des Militärs, die
Selberdenken und Fragen nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich
macht, ist jede Tat gedeckelt. Der Offizier am vietnamesischen
Massengrab fasst diesen Gehorsam sinnfällig zusammen: „Meine Leute
sollen meinen Befehlen folgen, als wären sie die Worte Gottes.“

Der Zuschauer erlebt diese religiöse Indoktrination (mit der alle
Kriege der Christenheit in „letzter Instanze“ schon immer
gerechtfertigt wurden) in Parris Island zunächst als neutraler
Beobachter, ganz so, als solle er die dem System imanente Logik zuerst
einmal kennen lernen und übenehmen, bevor Kubrik ihn mit deren Folgen
konfrontiert. Im zweiten Teil wandelt sich die Perspektive des
Zuschauers dann grundlegend. Er nimmt zwei Haltungen ein:

1. wird er immer wieder zum Opfer „erniedrigt“ (im Wortsinne). In „Full
Metal Jacket“ gibt es drei Sequenzen, in denen Soldaten um „Opfer“
herumstehen und wie zu diesen Opfern – aber eigentlich doch zu sich
selbst – sprechen: Das Massengrab der Vietnamesen, die Leiche bei der
Sprengfalle und schließlich die tötlich verwundete Heckenschützin.
Immer ist es die Perspektive der Opfer, die die Kamera einnimmt und
einen Schwenk im Kreis der „Grabredner“ abfährt. Unser stummer Blick
wird konfrontiert mit dem Selbsttrost der Hinterbliebenen: „better you than me“ (nicht etwa „better him than me“!), sagt Animal Mother zum Tod eines seiner Leute bei einer solchen Szene in die Kamera.

2. Dann wird der Zuschauer – wie so oft bei Kubrick – zum Täter. Sein
Blick wird zur Gewalt. Wie in „2001“ (HALs Blick auf das Komplott der
Austronauten), „Clockwork Orange“ (die disloziierende Schnittkaskade
beim Überfall des „Home“) oder „Shining“ (zuerst will nur die Axt, dann
aber – schneller – der Kamerablick durch die Tür zu Wendy) ist der
Zuschauerblick das Projektil. Der Sniper schießt nicht etwa „nur“
Patronen auf seine Opfer, sondern den „durchdringenden Blick“ des
Beobachters. „Sniper“ sein heißt vor allem auch: eine previligierte
Blickposition besitzen.

Diesem previligiertem Blick des Anderen (die vietnamesiche Frau – eine
doppelte Alteritätsfigur!) ist der heteronormative Blick des
Eindringlings nicht gewachsen. Während die Männer lediglich ihr
Rollenklischee exportieren (Frauen in Vietnam werden als reine
Lustobjekte „gesehen“), versucht der einzige Intellektuelle des Films
einen „kritischen Blick“ zu werfen, wird aber von der Medienmaschine –
die Vorhut und Statthalter der Kriegsmacht ist (in Vietnam wurde zum
ersten Mal ein regelrechter PR-Krieg geführt) – zur Verzerrung
verpflichtet. Es gibt Dinge, die nur anders gesagt werden dürfen,
Dinge, die nicht gezeigt werden dürfen. Denn ein Krieg zwischen zwei
geografisch derart distanzierten Nationen ist notwendig ein Krieg der
Informationsherrschaft. Und wer die Information kontrolliert, der
kontrolliert auch die Wahrheit über den Krieg.

Es ist ein Kampf der Kulturen, den Kubrick in „Full Metal Jacket“
inszeniert. Es geht nicht mehr um politische Systeme (die sind in allen
Vietnamfilmen zuvor als „Grund“ verbraten worden) und auch nicht mehr
um die Metaphorisierung des Krieges als Kampf zwischen Kultur und Natur
(in dem „der Feind“ oft genug mit „dem Dschungel“ verschmolzen ist).
Nein, Kubricks Film spielt in der Stadt. Er zeigt, dass die Kultur des
Anderen so unterschiedlich nicht von der Eigenkultur sein kann, wenn
man sie bekämpfen will – dass der Krieg im Prinzip nur die
Vormachtstellung der Parteien, die beide dasselbe wollen, klären soll.
Die Stadt ist der Ort, an dem immer schon die fremden Kulturen am
produktivsten aufeinander getroffen sind. Das Ergebnis ist im
vielsagenden Begriff der „Multikulturalität“ zu suchen. Die ist in
„Full Metal Jacket“ pervertiert, weil ihr der hegemoniale Diskurs
fehlt, der vorschreibt, wie die Kulturen produktiv aufeinander zu
treffen haben.

Und damit ist Kubricks Film erstaunlich „werkgetreu“. Er hat den
perfekten Kriegsfilm gedreht, in dem er zwar den Krieg zeigt, aber
nicht den Krieg meint – sondern die Frage der kulturellen Formung. Die
wird zunächst in der nivellierenden Ausbildung auf die Soldaten
übertragen, die sie dann zu exportieren haben.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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4 Antworten zu Full Metal Jacket

  1. Thomas sagt:

    Interessant natürlich auch, was die Verhandlung von Weiblichkeit betrifft, dass der auszubildende Soldat, der durch’s Raster fällt, von dem Vorgesetzten per Spitzname „Paula“ verweiblicht wird. Hier deutet sich diese Alterität ja schon an. Und dass der Intellektuelle der zweiten Hälfte, in der ersten Hälfte auf „Paula“ ebenso eindrischt wie alle anderen, schlußendlich.

    (und bei der Auflistung der „Kriegsfilme“ den Dr.Strangelove zu vergessen, nee also… 😉 )

  2. Stefan sagt:

    Ich glaube ja, dass Pyle (wie auch Joker) durch’s Raster fällt, weil er passiv ironisch ist (er versteht „miss“ und muss ja deshalb grinsen. Er ist reaktant und hat kein Interesse am System usw.) Joker ist „aktiv ironisch“ und kann deshalb überleben. Wo beim passiv-ironischen Pyle der Konflikt mit der Masse im Kollaps endet, kann der aktiv-ironische Joker jede Kritik einfach „ironisch kommentieren“ und sich darüber erhaben fühlen (vgl. den Angriff des Offiziers an der Leichengrube wegen des Buttons).

    Das Problem der Weiblichkeit fand ich eher uninteressant, weil es sich so aufdrängt, dass sogar Thiessen darüber ausführlich geschrieben hat (vgl. seine Bemerkungen zu den Frauentypen in FMJ in seiner Kubrick-Biografie). Zudem bin ich mir immer noch nicht ganz sicher, ob die (in der übrigens stakr sinnentfremdenden dt. Fassung) Übersetzung von „Pyle“ zu „Paula“ gut ist: Was „Pyle“ eigentlich bedeutet, weiß ich bislang nicht.

    Zu den Kriegsfilme: Stimmt „Strangelove“ und „Fear and Desire“ (;-)) habe ich nicht aufgenommen – weil das Kriegsfilme ohne Kampfhandlung sind und beider allegorischer Charakter so sehr im Vordergrund steht. Wohingegen sich das allegorische Potenzial des „Kriegsfilmes, der eigentlich keiner ist“ doch viel interessanter ausnimmt, weil es mehr Interpretationsleistung abverlangt.

  3. Thomas sagt:

    Das „interessant“ war auch eher bezüglich des Umstands zu verstehen, dass Du ja explizit auch auf das „Andere“ der Scharfschützin hinweist. Das wurde im ersten Teil ja zum gewissen Grad schon durch diese „Dichotomisierung“ zwischen feminin und maskulin (die ganz vordergründige Sexualisierung des Gewehrs zB) in Aussicht gestellt. Dass das nicht unbedingt das Interessanteste an dem Film ist, ist klar.

    Und ja, das kann sein, dass die Synchro hier verfälscht. Andererseits hat Kubrick aber auch die Synchronisationen überwacht und deren Qualität sichergestellt (die zu CLOCKWORK ORANGE soll ihm sogar besser gefallen haben als der Originalton).

  4. Stefan sagt:

    Stimmt: In Bezug auf den Alteritätsdiskurs werde ich da wohl noch mal näher drauf eingehen müssen. Da lohnt sich übrigens der sehr gute Text von Stefan Reinecke im Kilb/Rother-Buch über Kubrick.

    Zur Synchro: Ich kann das fast nicht glauben, dass Kubrick die Sinnentstellung in FMJ so derartig egal gewesen ist, dass er sie zwar überwacht hat, aber es trotzdem zu kompletten Auslassungen und Sinnentstellungen gekommen ist. Hier lohnt es sich sehr, mal die deutsche Fassung mit englischen Untertiteln zu schauen!

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