Wolfzeit

Wolfzeit
(Le Temps de Loup, F/Ö/D 2003, Michael Haneke) (DVD) – Immer dann, wenn
Haneke nicht jeden seiner Gedanken bis ins Letzte Detail ausformuliert,
sondern in Andeutungen bleibt, wächst er über sich selbst hinaus.
„Wolfzeit“ ist sicherlich seit „Das Schloss“ das beste Werk des
filmenden Österreicher Medienkritikers.

Denn in gekonnt inszenierter (oder besser allusionierter)
Endzeitstimmung erzählt er die Geschichte vom Niedergang einer Famile
und einer Kultur. Er konzentriert sich dabei ganz auf Mikrokosmen: die
Kleinfamilie, die Zweierbeziehung, die Introspektion. Immer dann, wenn
das Große, das Allgemeine, die Außenwelt Thema in „Wolfzeit“ wird,
macht sich Unübersichtlichkeit breit, wird Erzählung durch Verwirrung
ersetzt.

„Wolfzeit“ erinnert daher auch mehr an Filme wie Tarkovskijs „Stalker“
oder (mehr noch) Rollins „Pesticide“ – beides ebenfalls hervorragende
Variationen des Weltuntergangsthemas. Ihnen gleich ist auch Wolfzeit
ein stiller Film: keine Filmmusik (wo in „Stalker“ und „Pesticide“ noch
minimalistische Klänge „Stille verbreiteten“). Auch in den Farben: Wie
bei Rollin und Tarkovskij glaubt man hinterher, einen Schwarzweißfilm
gesehen zu haben. So sehr hat sich die lebendige Welt aus dem Film
zurück gezogen.

Die Figuren müssen in ihrer Motivation notwendig angedeutet bleiben.
Was Haneke schon immer zur Desorientierung des Zuschauers eingesetzt
hat (vgl. vor allem seine „Vergletscherungs-Tetralogie“), dient in
Filmen wie „Wer war Edgar Allen?“, „Das Schloss“ oder nun „Wolfzeit“
dazu, die Menschen mit der ins Zweidimensionale geschrumpften Umwelt zu
verschmelzen. Hanekes Figuren kommen immer irgendwie aus „der Stadt“,
die für Leben und Wärme steht und verlieren sich immer in der Einöde,
deren Entropie ihre Energie vollständig aufzehrt.

„Wolfzeit“ ist ein Film, der wie kaum ein anderer Tristesse, Angst und
Hoffnungslosigkeit zu einem Motiv der Bewegung (durch den Raum und
durch die Handlung des Films) forciert. „Wolfzeit“ ist vielleicht der
Endzeitflm, der in Wenders‘ unsäglich zähem „Der Stand der Dinge“ hätte
gedreht werden sollen – der Film, den ich immer schon lieber gesehen
hätte als Wenders Backstage-Langweiler.

Danke Michael Haneke!

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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