Scanners – Organmetaphern bei Cronenberg

31.08.04: Scanners (DVD)

Vorrede: Die Organisation des Denkens – Organmetaphern in der Geistesgeschichte und Cronenbergs Scanners

Im
Werk David Cronenbergs ist die Organmetapher omnipräsent. Wie Riepe
schreibt, ist das „wörtlich nehmen von Metaphern“ ein Problem
psychotischer Natur. Ich will mich diesem Verständnis nicht anschließen
und es als genuin „filmisches Denken“ verstehen.

In Videodrome (1982) hatte sich bereits angedeutet,
wie Cronenberg McLuhan liest. Er nimmt die Organmetapher des
Landsmannes ganz wörtlich und seinem Protagonisten Max Renn verwächst
eine Waffe mit der Hand („handgun“). Später gerät auch die andere Hand
zur Waffe („hand grenate“). Infiziert mit dieser Wörtlichkeit hat ihn
das Videodrome-Signal, das die Transgression des elektrischen Impulses
in das körperliche Symptom leistet. Der Erfinder, Professor Brian
O’Blivion, ist das erste Opfer seiner Erfindung geworden. Das Signal
hat einen Gehirntumor bei ihm ausgelöst, den er jedoch anders
verstanden wissen will: „I believe that the growth in my mead – this
head – this one right here. I think that is not really a tumor […]
but that it is in fact a new organ … a new part of the brain.“ Wie
O’Blivion, der diese Mitteilung nur noch per Videoaufzeichnung (deshalb
die Deixis „this head – this one right here“?) übermitteln kann, geht
auch Max später vollständig im Medium auf, verschmilzt mit ihm: „I am
the video word made flesh.“ Noch gegenständlicher lässt sich Sprache
als Organ nicht mitteilen.

Der zwei Jahre zuvor entstandene Film
Scanners ist Cronenbergs erster Kontakt mit der mediatisierten
Organmetapher. Thema des Films ist die Telepathie. Ein schwieriges
Thema, wie Cronenberg zugibt: „The problem with movies about telepathy
has always been how to make it physical. And I do mean physical, since
for me it’s never enough just to make something visual.“ Anders gesagt:
„How to make the video word flesh?“

Filmisch gelingt diese
Antwort in Scanners in der Tat nur recht unbefriedigend: Dass
telepathischer Kontakt zwischen zwei Menschen besteht, ist zu hören an
seltsamen Stimm-Geraune im Soundtrack und körperlichen Symptomen der
Verbunden (vom starren Blick über Zittern bis hin zum
epileptisch-konvulsivischem Zucken). Erst mit der optischen Illusion
der „Auflösung von Raum und Zeit“ (McLuhan) gelingt es Cronenberg vom
Affekt der Darstellerkörper zum Effekt im Film überzugehen.

In
Scanners belässt er es vorerst beim diskursiven Annähern an das
Phänomen der Telepathie, versieht es aber mit den medientheoretischen
Implikationen McLuhans. Nicht nur gibt es ganz profan eine
Scanner-Untergrund-Organ-isationen mit einem tyrannischen Oberscanner
als Kopf (Daryll Revok, der in der Mehrzahl der Einstellungen des Films
tatsächlich nur als Head-Shot zu sehen ist). Auch führt Scanners eine
Reihe von Szenen vor, die die Netz-Gedanken McLuhans mehr oder weniger
direkt abbilden.

Die Scanner bilden ein „unfreiwilliges
Netzwerk“ mit den Menschen ihrer Umgebung. Auf sie dringen die Stimmen
und Gedanken ihrer Umwelt ohne Filter ein. Sie sind krank,
missgebildet, oder wie Wissenschaftler Ruth es definiert: „Scannen, das
ist eine Störung der Synapsen, die man Telepathie nennt.“ Erst durch
das Verabreichen der Droge Ephemerol (ephemer = flüchtig, nur einen Tag
überlebend) verschwinden die Stimmen für kurze Zeit und der geplagte
Scanner fühlt sich „kristallklar“ (Cameron Vale). Ganz so, als wären
die arme die Antennen zum Empfang der telepathischen Gedankenwellen,
wird die Ephemerol-Spritze stets in die Hand verabreicht. Erst nachdem
der Scanner sie bekommen hat, kann er vom unkoordinierten Sende- und
Empfangsgerät auf bestimmte Wellen eingestellt werden. Zwei
Vorführungen, die zeigen, zu was der Scanner dann in der Lage ist,
eröffnen den Film.

Doch, so Ruht, „Telepathie besteht nicht nur
aus Gedankenlesen. Es ist die direkte Verbindung zweier Nervensysteme,
die räumlich voneinander getrennt sind.“ Diese Definition ähnelt nicht
grundlos dem Verständnis von Telekommunikation. In Scanners wird auf
diese Weise nicht nur tele-kommuniziert sondern eben auch
tele-pathologisiert: „Scanners – Their thoughts can kill! “, so die
Werbezeile des Verleihers. In dem Moment, wo die Scanner durch das
Ephemerol „kristallklar“ geworden sind, werden sie zur Waffe. Ruths
Organisation „Consec“ versucht aller 237 Scanner habhaft zu werden, um
eine Armee gegen den Wahnsinnigen Scanner Revok zu koordinieren. Revok
selbst – Inhaber der Organisation „Bicarbone Amalgamate“ – ebenfalls
eine als Chemiefirma getarnte Untergrundorganisation – versucht alle
Scanner, die sich ihm nicht anschließen wollen, zu töten.

Als es
zum finalen Konflikt zwischen Vale und Revok kommt, überschlagen sich
die Ereignisse: Es kommt heraus, dass der Arzt Ruth Erfinder von
Ephemerol ist, der dieses Mittel Schwangeren als Beruhigungsmittel
verabreicht hat. Die Kinder wurden daraufhin mit einer telepatischen
Missbildung geboren – der Scannerfähigkeit. Seine beiden Söhne haben
diese Fähigkeit aufgrund der frühen Verabreichung von Ephemerol
besonders stark ausbilden können: Cameron und Daryll.

Kurz vor
dem Showdown wird Cronenberg mit seiner technologisierten Organmetapher
konsequent. Vale will die Firma Daryll Revoks zerstören, die Unmengen
Ephemerol produziert, um dies Schwangeren zu verabreichen und eine neue
Scanner-Armee zu gründen. Da ihm der Zugang zum Gebäude verwährt ist,
entschließt er sich Kontakt über das Distanzmedium Telefon aufzunehmen
und den Computer zu scannen: „Sie haben ein Nervensystem, das einem
Computer vergleichbar ist. Damit können Sie ihn scannen, den Computer,
als ob er ein Mensch wäre“, gibt Ruth Vale mit auf den Weg. Cronenberg
nimmt hier eine Verschaltung des Nerven- und Telefonnetzes vor – ein
Internetz zwischen Mensch und Maschine. Die entseelte Maschine per se
(der Computer, der in der Science Fiction unzählige Male zum
seelenlosen Widersacher des Menschen geworden ist) wird von Cameron
Vales Verstand überwältigt – im Wortsinne – und erleidet einen
Nervenzusammenbruch. Die Firma Revoks explodiert (und das Telefon,
durch das Vale Kontakt aufgenommen hat, gleich mit).

Ich komme
zum Kurzschluss: Dagegen nimmt sich der Showdown des Films fast wieder
zurückhaltend aus: Die beiden Brüder stehen sich endlich gegenüber,
scannen sich gegenseitig. Antipoden, die sie sind, kommt es zum
Kurzschluss. Das „scanning“ versagt in dem Moment, wo es auf sich
selbst angewendet wird. Das fleischgewordene Medium lässt sich nicht
remedialisieren. Hat die Anfangssequenz das Ergebnis dieses
Kurzschlusses schon als Explosion (eines Kopfes) vorgeführt, so zeigt
das Ende des Films dies als Implosion (eines Körpers in einen anderen –
der Verschmelzung der Brüder).

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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