Gasherbrum – Der leuchtende Berg / Werner Herzog eats his shoe

26.04.04: Gasherbrum – Der leuchtende Berg und Werner Herzog eats his shoe (DVD)

Mit
der Verbindung von Bildern und Sprache ist das so eine Sache: Das eine
lässt sich nicht ins andere Übersetzen, ohne, dass etwas wegfällt oder
hinzukommt. So muss jeder gelungene Versuch, für die eigenen oder
fremden Worte Bilder zu finden auch notwendigerweise in
Vieldeutigkeiten münden. Jemand, der „gute Bilder“ findet, schafft es
dann vielleicht, diese Vieldeutigkeiten wenigstens zu lenken.

In
Werner Herzogs Dokumentarfilmen taucht dieses Problem immer wieder auf.
Da finden mehrfache Übersetzungsprozesse statt: Ein vergangenes
Erlebnis wird erzählt, dann bebildert und schließlich wieder mit einem
Sprachkommentar versehen. Herzog macht aus der Polysemie, die dabei
entsteht, ein Programm: Die vergangenen Erlebnisse seiner Protagonisten
sind oftmals ein Schlüssel, mit dem er seine eigene Weltsicht kodiert.
Da wird ein wochenlanger Marsch durch den Dschungel („Little Dieter
needs to Fly“, „Julianes Sturz in den Dschungel“) zu einer Beschreibung
von „Extrem-Wandern als/ans Lebensziel“ oder die Fassungslosigkeit von
Sprachfindung („How much wood would a woodchuck chuck“, „Land des
Schweigens und der Dunkelheit“) zu einer Bankrotterklärung von Sprache
überhaupt … „Die Menschheit braucht zum Überleben Bilder“, sagt
Herzog.

In Gasherbrum begleitet er den Bergsteiger Reinhold
Messner, der hintereinander zwei Achttausender besteigen will. Herzog,
sonst für jedes Abenteuer zu haben, folgt ihm nicht, sondern bleibt in
der Basisstation. Und so handeln die 45 Minuten des Films dann auch
weniger von den artistischen/akrobatischen Bemühungen Messners als von
dessen verzweifelter Suche nach Worten, seine unsinnige Passion
„Bergsteigen“ verstehbar zu machen. Herzog versucht es zunächst mit
Analogie („Eine Art Wahnsinn?“, „Todessehnsucht?“) um dann schließlich
auf den existenziellen Kern der Sache zu stoßen: Messner hat vor ein
paar Jahren bei einer Expedition den eigenen Bruder verloren. Auf die
Frage Herzogs, wie er es nach der Rückkehr der Mutter erklärt habe,
bricht Messner in Tränen aus. Über die Sezene ist viel gesagt und
geschrieben worden und Herzog selbst hat immer wieder erklärt, wie
wichtig er und Messner es gefunden haben, dass diese ca. 3 Minuten
schweigendes Schluchzen mit bewegungsloser Kamera eingefangen in den
Film hinein mussten.

Der Grund scheint mir jedoch ein
anderer als allein der der Authentizität zu sein: Es gibt keine Worte,
welche existenzielle Extremsituationen zu beschreiben vermögen. Zu
diesen gehört nicht nur, den Berg hinaufzusteigen (was Messner ganz
folgerichtig damit vergleicht, dass er unsichtbare Schriftzeichen „an
der Wand“ zeichnet, die er besteigt), sondern auch, was man jedes Mal
oben lässt und was nicht mehr da ist, wenn man den Berg wieder
hinabsteigt. Anfangs sind dies nur fehlende Zehen (Messner hat nach all
seinen Expeditionen nur noch insg. 4 Zehen), dann ist es die Vernunft
(es wird immer wieder von wahnsinnig gewordenen berichtet) und
schließlich ist es das Leben selbst, dass sich im Prozess des
Bergsteigens verausgabt und verbraucht.

Die Erklärungsversuche
Messners (und auch die Fragen Herzogs) werden angesichts der
Herausforderung immer hilfloser – die Bilder des Films jedoch immer
bedeutungsschwerer: Wortlose, mit der Musik Popol Vuhs unterlegte
Panorama-Aufnahmen, in der sich Messner und sein Begleiter verlieren,
zeitgeraffte Schneestürme und Wolkenjagden, die seltsam „unkitischig“
über die Berge hinwegfegen – das sind die Bilder, die nach und nach die
Sprache ersetzen. Und schließlich verwundert es nicht, als sich Messner
und Herzog am Ende des Films einig sind, dass sie beide das selbe
„Lebensziel“ haben: Einfach gehen, immer weiter gehen, ohne Umkehr. In
diesem Bild kulminiert der sisyphonische Wunsch des Bergsteigers
Messner, für den jeder Aufstieg auch der erste Schritt in Richtung des
Absteigs ist und der Herzogs, für den jede begonnene
Erzählung/Dokumentierung auch schon der Anfang ihrer letzten Worte ist.

Als
Herzog in den 1970er Jahren einen „verwandten“ Bilderfinder entdeckt
hat, den jungen Kunststudenten Errol Morris, hat er ihn ermutigt, einen
Film zu drehen. Herausgekommen ist der Dokumentarfilm Gates of Heaven
– ein Film über Tierfriedhöfe und hinterbliebene Herrchen und Frauchen.
Gleichzeitig eine Ode an die Fähigkeit interspeziezistischer Empathie
und ein Soziogramm Amerikas ist der Film ein Meilenstein des
Dokumentarfilms geworden. Herzog versprach Morris damals: „Wenn der
Film je fertig wird, komme ich zurück und esse meine Schuhe!“

Der
knapp zwanzigminütige Les Blank-Film „Werner Herzog eats his Shoe“ ist
Beleg dafür, dass Herzog sein Versprechen gehalten hat. Doch Herzog
wäre nicht Herzog, wenn er das Versprechen um der reinen Gaudi willen
gegeben und es nicht mit einem Programm unterfütter hätte. Und so wird
das Schuhe-Kochen und -Essen von ihm mit einer „Message“ versehen. Die
eigentlich abstrusen Bilder stehen nun für den Preis, den man für das
eigentlich Unmögliche erhält: Einen Film zu drehen ist eine titanische
Leistung (darauf insistiert Herzog und hat es schon oft genug „am
eigenen Leib“ bewiesen) und gleichzeitig das notwendigste, dass die
Menschheit braucht. „Denn ohne die richtigen Bilder“, so Herzog, „sind
wir zum Untergang verdammt.“

Eigenartig, dass nun genau diese
Bilder, die den Schuh-Essenden Herzog zeigen, zum Paradebeispiel für
diese Notwendigkeit werden. Aber das Publikum der im Theater
vorgeführten Schuhesserei und auch die anwesenden Journalisten
schließen sich dem Programm Herzogs an. Und so wird er gefragt, wozu
seine und andere Filme da sind, was er schon damals in Morris gesehen
hat und warum ein Film wie „Gates of Heafen“ so wichtig ist. Nicht
gefragt wird er über die Zutaten seiner Schuh-Suppe und ob es denn
schmeckt.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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