Aus beruflichen Gründen lese ich gerade Gunther Rehfelds Buch „Game Design und Produktion“ (in der 2. Auflage). Im Einleitungsteil werden interessante neue Perspektiven auf die Geschichte und Epistemologie der Spiele gegeben. Vor allem die Beziehungen zwischen physisch-realen Spielen (Brettspiele, Kinderspiele, Sportspiele, …) und virtuellen Spielen an Computern dienen ihm dabei als Kontrastphänomene … nur leider mit dem weit verbreiteten, unglücklichen Oppositionsbegriffspaar „digital“ und „analog“.
In einem Kasten (S. 29) heißt es dazu definierend/erläuternd:
Analog bedeutet übersetzt „entsprechend“, ähnlich, gleichartig. Es steht für Dinge, die so sind, wie sie sind. Im Gegensatz zum Digitalen (das sich auf Rechenprozesse mit zwei Zahlen (digits) bezieht, auf dem alle Computer aufbauen), sind sie wirklich begreifbar (anfassbar). Ein Plastikspielstein fühlt sich anders an, klingt anders etc. als ein Holzspielstein. Digital bezieht sich auf das binäre Zahlensystem, welches die Grundlage der Comptuertechnologie (Rechenmaschine) darstellt. In diesem System wird alles in der Form von 0 und 1 dargestellt. Über Programme, welche die Ausgabe steuern, werden die Daten wie z. B. Töne, Bilder oder Text über Lautsprecher oder am Monitor in ihren Unterschieden ähnlich wie ihre analogen Vorbilder dargestellt. Über die Interpolationsmedien wie Tastatur und Maus fühlt sich die Bearbeitung jedoch mehr oder wenige rgleich an. Es ist ein großes Bestreben der Informatik, das digitale Erleben dem analogen anzupassen. Bis dahin finden wir so etwas [wie] totale Simulation des Analogen nur als Fantasien in Filmen wie Matrix oder dem Holodeck in der Star[-]Trek-Serie.
Es mag der jahrzehntelangen, irreführenden Verwendung der Begriffe „analog“ und „digital“ im öffentlichen Diskurs geschuldet sein, dass hier so viele fachliche Fehler in den Merksatz geraten sind. Aber gerade in einem Buch, das als Grundlage für die Ausbildung von Game Designern genutzt werden soll, sollten solche Definitionen gründlich bedacht und erstellt werden – auch, um damit einem vielfach vertretenen falschen öffentlichen Technikverständnis entgegen zu wirken:
- Der Begriff „digital“ bezieht sich nicht auf „Rechenprozesse mit zwei Zahlen“, sondern auf jede diskrete (abzählbare: „digitus“ = „Finger“) Zahlenmenge. Digitalcomputer heißen so, weil sie diskrete Elemente (Spannungszustände) auf ebensolche Zahlenmengen abbilden. Es gab und gibt Computer, die mit zwei, drei, zehn und mehr diskreten Zuständen und dazu passenden Zahlenbasen operieren und deshalb auch alle „Digitalcomputer“ genannt werden. Die Aussage „Digital bezieht sich auf das binäre Zahlensystem“ ist deshalb mathematisch verkürzend und technologisch falsch.
- „Analog“ hingegen bedeutet zwar durchaus „‚entsprechend‘, ähnlich, gleichartig“. Das erklärt aber noch nicht, warum Spiele wie Schach oder Mensch-ärgere-dich-nicht hier wie überall als „Analogspiele“ bezeichnet werden. Zwar gibt es hier durchaus „Analogien“ (beides sind in gewisserweise Analogien auf Kämpfe/Kriege zwischen opponierenden Parteien), dass die Spiele und ihre Figuren aber „anfassbar“ sind, macht sie mit nichten „analog“ (im Sinne von „ähnlich“), sondern physisch.
- Solche physisch-realen Spiele aber aus dem Grund als „analog“ zu bezeichnen, weil sie vielleicht „kontinuierlich“ ablaufen (was Digitalcomputerspiele ja auf der technischen Ebene nicht tun), wäre ebenfalls nicht korrekt. Denn die (spieltheoretisch gesprochen) meisten Zwei-Personen-Spiele werden mit diskreten Spielzügen gespielt: Schach und Mensch-ärgere-dich-nicht laufen (wie die meisten Brettspiele) über diskrete Spielzustände ab: Eine Figur steht entweder auf dem einen Feld oder dem anderen – nicht aber dazwischen. Darin ähneln diese Spiele Computerspiel-Daten (und das ist auch der Grund dafür, dass Spiele mit diskreten Spielzügen so gut mit dem Computer simulierbar sind).
- Ob es wirklich das Bestreben der Informatik ist, „das digitale Erleben dem Analogen anzupassen“, hängt wohl davon ab, was hier mit „Erleben“ gemeint ist. Dass Computer als implementierte Turingmaschinen alle berechenbaren Funktionen berechnen können, hat in gewisser Hinsicht zur Konsequenz, dass immer mehr Dinge, die als berechenbar angesehen (oder gemacht) werden, mit Computer simuliert werden können. Die Digitalisierung (im technisch-korrekten Verständnis) trägt dazu bei, dass kontinuierliche Signalmengen der physich-realen Welt zunächst (und stets verlustbehaftet) gesamplet (diskretisiert) und dann auf Zahlenmengen abgebildet (digitalisiert) werden. Die „totale Simulation des Analogen“ wäre demnach der Versuch alle physisch-realen Signalmengen auf diese Weise zu erfassen, um sie dann im Digitalcomputer algorithmisch verarbeitbar zu machen. Das wäre nicht nur technologisch (Shannon-Nyquist), sondern auch prizipiell (Unschärferelation) unmöglich. Deshalb begnügen sich Simulationen mit einer Auswahl an Parametern und einer genügend fein-granulierten Signalmenge. Darin genau sind sie Spielen nicht unähnlich, die ebenso bloß eine grobe Auswahl an Elementen und Regeln zusammenstellen und nicht versuchen eine „totale Simulation“ des Realen zu sein.
Die Schwierigkeiten, die sich der Autor mit dem Begriffspaar „analog“/“digital“ aufhalst, ließen sich vermeiden, wenn das ontologisch, phänomenologisch und technologisch korrektere Begriffspaar „physisch-real“ versus „virtuell“ gewählt würde. Dann würde das Analogcomputerspiel „Tennis for Two“ (S. 21) nicht in die Sphäre des „Digitalen“ eingemeindet werden müssen, nur, weil es auf einem Computer gespielt wird. Die (virtuellen) „dreidimensionale[n] Räume, durch die man interaktiv reisen kann“ (S. 29), müssten nicht zu „analog [..] auf Pappe und Karton“ erstellten Bauten in Opposition gesetzt werden, obwohl es physikalisch gesehen doch gerade letzere sind, die dreidimensional sind, während erstere auf der zweidimensionalen Bildschirmoberfläche lediglich dreidimensional erscheinen (eben: bloß virtuell 3D sind).