Claude Shannons „Theseus„-Spiel (in welchem eine Maus aus einem Labyrinth findet, allein dadurch, dass sie auf ihrem Weg durch die Gänge Relais-Schalter auslöst, die ihr bei späterem Erreichen desselben Gangs mitteilen, dass der Weg bereits beschritten wurde) weist einen Effekt auf, der für Logikschaltungen nicht untypisch ist, die so genannte „singing condition“*. Bei dieser verhält sich Theseus dadurch „neurotisch“**, dass die Maus auf immer wieder dieselben Schalter stoßend im Kreis herum läuft und dies so lange tut, bis jemand von außen eingreift. Shannon hat dies natürlich erkannt und in sein Spiel einen „antineurotic circuit“ eingebaut, der bei sechsmaliger Wiederholung des immer gleichen Bewegungsablaufs schaltet und der Maus einen anderen Weg als den bereits mehrfach beschrittenen vorschreibt.
Diese „singing condition“-Endlosschleife ist eigentlich, obgleich hier hin Hardware realisiert, ein Software-Problem und tritt in Programmen gar nicht so selten auf. Beim Programmieren fällt sie selten auf, weil ihre Effekte erst beim Lauf des Programms zu erkennen sind, wenn die virtuelle Software auf die konkrete Umwelt trifft und von dieser nicht berücksichtigte Aspekte mit den „Schnittstellen“ des Programms interagieren.
Ein Beispiel dafür zeigt das (vom Titel her ebenfalls sinnfällige) Computerspiel „BreakOut“ (Atari, 1976). Dort kann man den Ball in eine Situation bringen, in der er immer wieder im selben Winkel vom Schläger abprallt und auf die Wand aufprallt, um von dieser auf demselben Weg zum Schläger zurück zu prallen usw. Die Programmierer von „BreakOut“ haben den „antineurotic circuit“ hier natürlich nicht als Schaltung, sondern als Ausbruch aus dieser scheinbaren Schleife realisiert, indem sie von vornherein verhindern, dass der Parameter für den Abprallwinkel des Balls vom Schläger mehr als 12 mal hintereinander derselbe sein kann. Alle 12 Schläge also variiert die Spielphysik und verstößt damit zugleich gegen die Realphysik (Einfallswinkel = Ausfallswinkel). Oder holt sie deren unberechenbare Reibungseffekte dadurch vielleicht bloß wieder ein? (In „Table Tennis“ auf der Magnavox muss mangels Computer der Spieler selbst durch betätigen des „English“-Drehreglers für Antineurotisches Verhalten sorgen.)
Das folgende „Lehrvideo“ zeigt die „singing condition“ und wie man sie für eine perfekte Runde „BreakOut“ fruchtbar machen kann:
(Shannons Relais-Schaltung ist übrigens nicht die einzige, die „neurotische Affekte“ annehmen kann: So gibt es in Schaltungen und Steuerungen einen Zustand der Hysterie, bei dem trotz gleichmäßiger Eingangssignalsteigerung eine unverhältnismäßige Steigerung des Ausgangssignals stattfindet.)
*Claude Shannon zit. n. Claus Pias (Hg.): Cybernetcis – Kybernetik. The Macy COnferences. 1946-1953, 2 Bde., Zürich/berlin 2003, Bd. 1, S. 474f.
** Claus Pias: Elektronengehirn und verbotene Zone. Zur kybernetischen Ökonomie des Digitalen. In: Jens Schröter/Alexander Böhnke (Hgg.): Analog/Digital – Opposition oder Kontinuum? Zur Theorie einer Unterscheidung. Bielefeld: transcript 2004, S: 295-309. Hier: S. 301.