„Wissenschaft mit Zukunft“ (als Instrument einer Wissenschaft ohne Zukunft)

Für die Textauswahl zu meinem nächst-semestrigen Seminar über „Science/Fiction/Computer“ habe ich ein bisschen in der DDR-Geschichte der Kybernetik gebuddelt und dabei Klaus Göldners 1979 erschienenes Büchlein „Kybernetik – Wissenschaft mit Zukunft“ ausgegraben. Im letzten Kapitel, das sich dezidiert mit den künftigen Möglichkeiten der Kybernetik und des Computers beschäftigt, findet sich folgende Passage:

„Wird nun die Kybernetik eine Weltanschauung der Zukunft? Wegen ihrer großen Bedeutung gibt es tatsächlich derartige Prognosen in der westlichen Welt, und die hängen zum Teil mit dem Zukunftsbild einer vereinheitlichten Technokratengesellschaft zusammen, wobei auch der sehr unbequeme Klassenkampf zurückgedrängt werden soll.

Tatsächlich sind aber Leben und Wirklichkeit wesentlich reicher als der Begriffsapparat der Kybernetik. Die Kybernetik kann nur Erkenntnisse über Steuerung und Verhalten von Systemen vermitteln. Sie kann aber nicht die objektiven gesellschaftlichen Entwicklungsgesetze ersetzen. Diese grundlegenden Zusammenhänge kann nur eine materialistische Philosophie, und zwar die marxistisch-leninistische, erklären. Kybernetik unterstützt allerdings mit ihren Theorien und Betrachtungen die Richtigkeit der marxistisch-leninistischen Weltanschauung; sie hat lediglich einen gesellschaftlichen Bezug.

Die Kybernetik ist also keine Wunderwissenschaft oder eine Universalwissenschaft und erst recht keine, die eine Weltanschauung bilden könnte – sie steht auf dem Boden der materialistischen Dialektik und bestätigt deren Richtigkeit.“ (S. 94.)

Kurz danach habe ich eine der Legenden der Ost-Kybernetik- und Computer-Geschichte in diesem Buch über den (auf Basis ternärer Logik konstruierten) SETUN-Rechner widerlegt gefunden: Der Versuch, der dualen Aussagenlogik und ihrer Implementierung in elektronischen Schaltungen zu entkommen, weil diese eine unhistorische Zementierung der Hegel’schen Dialektik bedeuten, widerspricht die Aussage eines der Ingenieure des SETUN implizit, wenn dieser bemerkt, dass die Ternarität des SETUN lediglich darauf zurückzuführen ist, dass man bei der Konstruktion des Ferritkern-Speichers Einsparungen vorgenommen hat, wobei die duale Logik sozusagen automatisch zu einer ternären wurde.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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2 Antworten zu „Wissenschaft mit Zukunft“ (als Instrument einer Wissenschaft ohne Zukunft)

  1. Max sagt:

    Könnten Sie die Quelle der Aussage des Ingenieurs bitte mit Seitenzahl angeben. Ich glaub nämlich nicht, dass diese Schlussfolgerung im Gesamtkontext zutreffend ist und würde das gerne überprüfen…

  2. Das Buch habe ich leider nicht vorliegen; ich habe es in der Bibliothek der HU Berlin (Grimm-Zentrum) gelesen (und wohl auch deshalb nicht wörtlich zitieren können). Da das nun schon mehr als ein halbes Jahr her ist, weiß ich leider auch nicht mehr, in welchem der Beiträge des Bandes ist das gelesen habe. Sorry!

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