»Wir sind dem 20. Jahrhundert begegnet!«

Ikarie XB 1 (Cz 1963, Jindrich Polák) (DVD)

Patrick lebt (irgendwie)!

Dass die Science Fiction des Warschauer Paktes in den 1960er-Jahren zumindest im Film etwas „erwachsener“ war als ihr westliches Pendant, lässt sich nicht nur bei einem direkten Vergleich zwischen zeitgleich entstandenen Beiträgen nachvollziehen; auch die Tatsache, dass beide Roboterfilme die zu dieser Zeit im „Ostblock“ entstanden sind, von US-amerikanischen Produzenten umgeschnitten und als „westlich“ verkauft wurden, spricht Bände. Beiden hat man zudem einen recht ähnlichen „julesvernesken“ Titel verpasst (mit dem vielleicht gleich auch noch die „Rückständigkeit“ der Quelle angedeutet werden sollte): „Voyage to the Prehistoric Planet“ von Curtis Harrington (eine Umarbeitung der sowjetischen Produktion „Planeta Bur“ von Pavel Klushantsev) und „Voyage to the End of the Universe“, bei dem man den tschechischen Stab einfach mit amrikanisch(er) klingenden Namen umgetauft hat (Regisseur Jindrich Polák wird dabei zu Jack Pollak usw.) Dass der ursprünglich „Ikarie XB 1“ betitelte Film allerdings „eine ganz andere Sprache“ spricht, als seine westlichen Genre-Vertreter wird schon wenige Minuten nach Filmstart klar.

Bildtelefonat mit der daheim gebliebenen schwangeren Ehefrau

Das könnte auch an der literarischen Vorlage von Stanislaw Lem von 1956 liegen. Erzählt wird von einer Weltraumreise mit beinahe Lichtgeschwindigkeit. Ziel ist ein erdähnlicher Planet im System Alpha Centauri. Für die Crew dauert die Reise nur 18 Monate, während auf der Erde 15 Jahre vergehen. (Der Film traut sich sogar dies in einem Dialog zweier Crewmitglieder über Zeitdilatation zu erklären!) Die ersten Spannungen während der weitgehend von einem „Zentralautomat“ computergesteuerten Reise entstehen bald, als einer der Mitfliegenden herausfindet, dass seine schwangere Frau durchaus hätte mitkommen dürfen, weil eine andere Passagierin bereits schwanger an Bord gekommen ist. (Sie wird ihren Sohn später am Ziel gebären.) So lernt er seine Tochter erst kennen, wenn sie eine junge Frau ist. Nach einiger Zeit stößt die Ikarie auf ein fremdes Raumschiff, das sich bei näherer Untersuchung als eine irdische Forschungsstation aus dem 20. Jahrhundert herausstellt. Bei einer Exkursion zweier Astronauten stellt man fest, dass alle an Bord befindlichen Menschen plötzlich gestorben sind – vergast durch die Offiziere, die ihnen damit offenbar schlimmeres ersparen wollten. Zudem ist das Schiff mit Atomsprengköpfen vermint, die detonieren und den beiden Astronauten von der Ikarie das Leben kosten.

"Sie haben Atomwaffen an Bord!"

Bei der Frage, was denn der Grund für den Suizid der Mannschaft des alten Schiffes sei, stoßen die Astronauten auf einen dunklen Himmelskörper, von dem offenbar gefährliche Strahlung ausgeht. Sie hat die Astronauten regelrecht „eingeschläfert“ – und auch die Besatzung der Ikarie leidet mehr und mehr an derartigen Ausfällen durch Narkolepsie. Diese sind jedoch nach einem mehrstündigen Schläfchen überstanden; der Grund für die rasche Genesung ist, dass außerirdische Wesen von jenem erdähnlichen Planeten, den die Ikarie schließlich erreicht, durch „Gegenstrahlung“ die Gefahr neutralisieren. Zum Ende hin hat es die Ikarie „nur noch“ mit einem amoklaufenden Besatzungsmitglied zu tun (mir ist nicht ganz klar, ob das ein überlebender Verstrahlter der bemannten Außenmission ist), das jedoch beruhigt werden kann. Die neue Erde erweist sich als hochtechnologisierter Ort, wie das letzte Bild des Films zeigt, nachdem die Ikarie durch die Wolkendecke der neuen Welt gestoßen ist.

Bevor ich darauf zu sprechen komme, wo in Ikarie eigentlich die Roboter bleiben, möchte ich auf die filmische Auseinandersetzung mit der Atompolitik zu sprechen kommen: Dass das alte Schiff von der Erde ausgerechnet Atomwaffen zur Selbst(!)zerstörung einsetzt und zuvor die eigene Mannschaft mit einem Gas namens „Tigger Fun“ auf „saubere Art“ tötet, ist für die Ikarie-Besatzung eine echte Überraschung: Man hat alle Kriege und insbesondere den Kalten Krieg überwunden. Das Entsetzen, jetzt doch wieder auf Relikte dieser Zeit zu stoßen, ist groß: „Wir sind dem 20. Jahrhundert begegnet“, meint einer der Kommandanten und fährt fort: „Diese Verbrecher, die uns Auschwitz hinterlassen haben!“ Die politische Engführung der Atomenergie mit dem Holocaust weist den SF-Stoff als sehr deutliche politische Parabel aus.

Patrick lebt nicht mehr!

Und hier zeigt sich – dank der Ostalgica-DVD im direkten Vergleich möglich – der bedeutsamste Unterschied zwischen der tschechischen und der amerikanischen Fassung des Films. Während erstere das Ende nämlich als Ankunft auf einem anderen Planeten darstellt, schneidet die US-Fassung ein Bild New Yorks an den Schluss des Films: Wie im „Planet der Affen“ sind die Astronauten im Kreis und vielleicht sogar in der Zeit rückwärts geflogen und dort angekommen, wo sie los flogen … oder, falls es sich um Astronauten des Ostblocks handelt, eben doch im „heiligen Land“ angelangt. Eine Welt, die zwar kein Giftgas, aber dafür Atomwaffen besitzt, die sie lediglich für friedliche Zwecke hortet.

In „Ikarie XB 1“ gibt es zwei Arten von Robotern: einen sichtbaren und eine Anzahl unsichtbarer. Letztere werden lediglich in den Gesprächen der Besatzung thematisiert: Sie sollen zunächst das fremde Schiff untersuchen; es fehlt ihnen jedoch an menschlicher Intuition, weswegen dann doch die zwei Astronauten dorthin geschickt werden: „Es gibt Dinge, für die Roboter nicht geeignet sind“, merkt die Schiff-Soziologin(!) an – immerhin könnte man im fremden Schiff ja auf Außerirdische treffen und die fänden es sicherlich befremdlich, auf eine Erd-Delegation von Maschinen zu treffen. Dass dort Menschen und Atombomben eingelagert sind, weiß noch niemand und es verleiht dem Roboter-Motiv eine technikhistorische Note: Die zu dieser Zeit bereits in der Robotik (und im Film: vgl. „Gog“ oder „Tobor the Great„) diskutierte Einsatzmöglichkeit von Robotern als Geräte für dem Umgang mit für Menschen gefährlichen Strahlenquellen scheint hier indirekt angedeutet zu sein. Diese Roboter sollen schließlich auch die Ikarie steuern, wenn die menschliche Besatzung ausfällt, weil man befürchtet, nicht mehr aus dem vom schwarzen Stern strahleninduzierten Schlaf zu erwachen. Als die gesamte Mannschaft schließlich tatsächlich schläft, ist es allerdings der Roboter Patrick, der als einziger durch das Schiff geistert und verzeifelt seinen Erbauer „Anthony! Anthony! …“ ruft.

Ende (CSSR)

„Patrick ist ein Universalgenie“, behauptet jener Anthony zu Beginn, als seine Mitraumfahrer das technische Relikt aus dem 20. Jahrhundert belachen. Da jeder Astronaut so viele persönliche Gegenstände wie gewünscht mit auf die Reise nehmen durfte, hat Anthony sich für Patrick als persönlichen Gegenstand entschieden. Der Roboter, auch verballhornt als „der letzte eiserne Mann des 20. Jahrhunderts“, ist gleichermaßen Witz- wie Hoffnungsfigur und – angesichts der vielleicht sterbenden menschlichen Schiffsbesatzung – der letzte Repräsentant des Humanen und der Humanität. Die Verzweiflung, mit der er nach seinem Besitzer ruft, platziert ihn irgendwo zwischen einem Kind und einem Hund und deutet vor allem auf die Hilflosigkeit der Maschine ohne den Menschen hin. „Patrick“ könnte keiner Fliege etwas zuleide tun; im Gegenzug wird er allerdings beim Amoklauf eines Besatzungsmitgliedes geopfert, als er sich zwischen einen Menschen und die Waffe (einen „Elektrojektor“) des Angreifers stellt.

Ende (USA)

Ob sich in dieser Roboter-Darstellung vielleicht schon eine zaghafte Umdeutung des Motivs vom Roboter als „fühlendem“ Wesen andeutet, die von hier ab – genährt durch Asimovs Roboter-Geschichten – den Diskurs mehr und mehr von einer technischen auf eine philosophische Schiene überführt? Der nächste von mir hier vorgestellte Film, „The Creation of Humanoids“, wird genau diese Überlegung bestätigen – und er wird zeigen, dass in den 60er-Jahren auch diesseits des eisernen Vorhangs philosophische Science-Fiction-Filme möglich waren (auch wenn die Philosophie abermals aus einer Literaturvorlage der 1950er Jahre stammt).

Science Fiction ...

P.S. Weil es ein anderer Rezensent des Films bereits angesprochen hat: Neben der obligatorischen, futuristischen Musik- bzw. Tanzszene enthält „Ikarie XB 1“ noch zwei weitere „Icons“ für Science Fiction: Das erste ist das Bildtelefonat, das zweite die intersexuelle Sport- bzw. Duschszene (die hat sich bis zur Heinlein-Adaption „Starship Troopers“ als sehr stabil erweiesen.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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