Kerfen allenthalben

Mikrokosmos (Microcosmos: Le peuple de l’herbe, F/CH/It 1996, Claude Nuridsany & Marie Pérennou) (Blu-ray-Disc)

Dass „Mikrokosmos“ seinen Fundus ästhetischer Fiktionalisierungsstrategien viel deutlicher in den Vordergrund stellt, als andere Dokumentarfilme dies tun – ja, als es ihrer Glaubwürdigkeit gut täte –, könnte seinen Grund darin haben, dass uns der Film in eine Welt einführt, die wir nicht kennen, in der vieles so ganz unvermittelt vielleicht eklig, bedrohlich oder skurril wirken würde. Unser einziger Anker ein Verständnis für die Schönheit dieser Welt zu entwickeln, liegt in der offensichtlichen Inszenierung. Da können dann Mistkäfer, die ihre Kugeln sisyphonisch einen Hügel hinauf rollen, nur, um dann wieder mit ihm hinab zu kullern, zu Slapstick werden, die Bilder zweier Hirschkäfer, die auf einem Ast darum kämpfen, wer zuerst den Weg passieren darf, werden wie in einem Actionfilm montiert oder eine scheinbar endlose Reihe von Raupen, die hintereinander her krabbeln (um von oben für Vögel wie eine Schlange auszusehen), werden beim Zoom-out aus größerer Entfernung als endloser Tati’scher Kreisverkehr enttarnt, bei dem nichts vorangeht und sich alles irgendwann zum Chaos entwickelt. Die kleinen Dramen und Komödien, die das Leben schreibt – das der Insekten ebenso wie das der Menschen – werden immer erst durch den Formwillen zu solchen. Die Aufgabe und Kunst des Films ist es, diese Formen auf die natürliche Ordnung zu projizieren. Dann kann aus dem „Material“ ein Film und aus dem „Ereignis“ vielleicht eine Allegorie werden.

Mehr: folgt

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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