»You always stop at the same part, when it’s very beautiful. Interesting.«

The Fall (Indien/UK/USA 2006, Tarsem Singh) (Cinemax)

Vielleicht ist das jetzt mal eine gute Gelegenheit, die zwei Seelen, die in meiner Brust wohnen, zur Ansprache zu bringen und den Unterschied zwischen rational erwogener Kritik und schwärmerischer Filmliebe darzulegen. (Oft genug finde ich mich nämlich in Auseinandersetzungen wieder, wo mir das eine oder das andere vorgehalten wird, obwohl vermeintlich doch eher das andere oder das eine angebracht gewesen wäre.)

Dass mir die polarisierenden Filme, vor allem diejenigen, bei denen die Meinungen zwischen „Kitsch“ und „Meisterwerk“ changieren, zumeist besonders gut gefallen, hat sich mittlerweile fast schon zu einem Auswahlkriterium für mich entpuppt. Im Vordergrund stehen da oft mehr subjektive als ästhetische Kriterien – das war bei Tim Burtons „Big Fish“ so, bei Haggis‘ „Crash“, bei Aronofskys „The Fountain“ und nun auch Tarsem Singhs „neuem“ Film „The Fall“, der es nach über 2 Jahren endlich in die Kinos geschafft hat.

Anders herum sind die kritischen Einwänden dritter (besonders dann, wenn die Kategorie des „Kitsch“ bemüht wird), aber auch nicht immer frei von subjektiven Empfindungen – mehr noch: diese scheinen oft sogar das maskierte Hauptkriterium der Bewertung zu werden, das dann nur – bei Rüdiger Suchsland in telepolis kann man das lesen – lediglich im Mäntelchen der (ja sowieso unmöglichen) Objektivität daherkommt.

Genug der Vorrede: „The Fall“ ist für mich bislang der beste Filme des noch nicht alten Jahres 2009. Ob ihm dieser Rang von anderen Filmen (und dann von mir!) streitbar gemacht wird, wird sich noch zeigen müssen. Aber auch in der Vergangenheit („Eternal Sunshine of the Spotless Mind“, „Life and Death of Peter Sellers“) hat sich da zumeist wenig getan, wenn ich erst einmal ein solch bedeutungsschweres Vorurteil (gegenüber den nachfolgenden Herausforderern) etabliert habe. Wie es dazu kommen konnte, kann ich mir nur halbwegs erklären – das Nichterklärbare macht sogar den wesentlichen Teil dieser Bewertung aus.

„The Fall“ berührt mich zuerst einmal mit seiner Geschichte. Die kann nicht nur unkomplex und frei von Sentimentalität sein, sie darf noch nicht einmal diese Attribute missen, wenn sie bei mir wirken will. Je einfacher eine Story daherkommt, desto eher schafft sie es, den „analytischen Motor“ in meinem Bewusstsein abzuwürgen, bevor er überhaupt noch anspringen kann. Dann kommen all die Assoziationsketten, Intertextualitäten und Homologien gar nicht erst zum Vorschein und die Filmerzählung findet ihren Weg „von vorn durchs Auge in die Brust“. (Dann lassen mich selbst solche Details wie die kleinen Anspielungen auf die Filmgeschichte in „The Fall“, etwa in Form einer durch ein Schlüsselloch hergestellten camera obscura, gleichgültig.)

„The Fall“ ist aber auch Kino pur – ein Kino, das vor allem von seinen Bildern lebt. Fast könnte man meinen, die allzu einfache Geschichte vom verletzten Stuntman, der sein Lebensfinale im Tod und des kleinen Mädchens, das seine Glückseligkeit im Happy End einer Geschichte sucht, wären nur ein Vorwand, damit Tarsem diese Bilder einem Kinopublikum zeigen kann, das ja immer noch viel zu sehr auf „Erzähltes“ fixiert ist und sich die Filme zumeist nach dem Plot aussucht. (Ein paar Freunde haben genau deshalb abgewunken, mit in „The Fall“ zu kommen: „Klingt uninteressant.“) Aber die Erzählung korrespondiert schon auf trickreiche und intelligente Weise mit den Bildern. Das war ja schon in Tarsems „The Cell“ der Fall.

„The Fall“ ist zuerst ein Film der Farben, dann einer der Töne und dann merkt man (bzw. ich), wie sehr er eigentlich ein Film der Synästhesie ist, in dem beide nicht ohne einander auskommen. Denn Krishna Levis Soundtrack liefert stets die akustischen Harmonien zum farblichen Thema. Dass er dabei auf Material aus der Klassik zurückgreift und das Thema des Allegrettos aus Beethovens 7. Symphonie implementiert, eröffnet nur noch einen weiteren Horizont voller gefühle (bei mir wird wie bei vielen das Hören einer bekannten Melodie auch oft zu einer Retrospektive der damit verbundenen Erinnerungen). Über diese Synästhesie von Bildern und Tönen stellt sich dann so etwas wie das „absolute Filmerlebnis“ für mich ein, das mehr (das oben angesprochene) unbestimmte Gefühl ist als das bewusste Erlebnis.

Das kann man unmöglich zum Gegenstand einer Kritik machen und man sollte sich hüten es zu objektivieren (damit meine ich nicht: es zu formulieren – ich halte nichts davon, dass ein „Je nais se quoi“ zu Sprechverboten gegenüber Kunstwerken führt). Nicht, dass man das Gefühl damit zerstören würde oder dem Film damit ein Leid antäte – das ist Obskurantismus. Nein, man würde nur einen unmöglichen Dialog oder einen Streit provozieren, weil die Minimalbedingung ästhetischer Kommunikation, die intersubjektive „Verständigung“, eigentlich nicht greifen kann, wenn es um privates Erleben geht. (-> Wittgenstein)

Darum würde ich über „The Fall“ lieber nichts schreiben, was andere davon zu überzeugen versucht, dass das „der beste Film des Jahres“ (für mich) ist und es würde anderen selbstverständlich auch nicht gelingen, mich davon zu überzeugen, dass das nicht so ist.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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