»The Game that plays you!«

Thrillkill (Kanada/USA 1986, Anthony D’Andrea & Anthony Kramreither) (VHS)

Die Geschichte ist einfach und geht so: Die Spieledesignerin Carly verdient sich nebenher ihre ersten drei Millionen Dollar, indem sie von zu Hause aus mit ihrem Computer in Banken einbricht und dort mit Hilfe eines als Spiel getarnten Virusprogramms Gelder von Firmenkonten auf ein eigenes Konto transferiert. Als ihr Chef in der Spielefirma auf ihr Treiben aufmerksam wird, ohne jedoch genau zu wissen, was sie da treibt, zieht sie die Reißleine und beendet ihr Hobby – nicht jedoch ohne zuvor das Geld in einem Schließfach zu deponieren, dessen Standort sie in ihrem Computer mit Hilfe eines Passworts („Firelight“) verschlüsselt.

Das macht sie deshalb, weil eine Gruppe kriminell gewordener Banker, mit denen sie konspiriert hat, ebenfalls hinter dem Geld her sind. Ihnen fällt sie schließlich zum Opfer, schreibt das Passwort aber vorher noch auf eine Zigarettenschachtel von der sie ihrer unbedarften Schwester Bobby erzählt, die nun ob dieses Wissens nach und nach von den Gangstern verfolgt, unter falscher Identität angebaggert und zur Passwortherausgabe gezwungen wird. Besonders der Schein-Polizist Gilette hat es ihr angetan und als sie herausbekommt, dass auch er zu den Gangstern gehört, weiß sie nicht so recht, ob sie ihn nicht trotzdem ein bisschen lieb haben soll.

Thrillkill

„Thrillkill“ macht – wie später „Hackers“ und „eXistenZ“ – den weiblichen Computerfreak zum Hauptgegenstand seiner (Ver)Handlung. Eine Frau, die sich für Computer interessiert, sich damit auskennt und sogar selbst Spiele programmiert (Carlys Schöpfung ist ein Ego-Shooter mit dem Titel „Thrillkill“ – daher der Filmtitel): Das war in den 1980ern ein Ding der Unmöglichkeit und feuchter Traum von 8-Bit-Nerds wie mir. Als sie nach etwa 20 Minuten ermordet wird, ersetzt der Film sie deshalb durch eine „normale“ Frau, die sich mit all dem nicht auskennt (für sie ist Mikroelektronik sogar Magie – zwei Mal bewegt sich der Computer in ihrer Gegenwart wie von Geisterhand), aber ein Gespür für Recht und Unrecht, Liebe und Intrige besitzt. Dennoch geht sie dem stets aalglatt rasierten Gilette auf den Leim und verbringt mit ihm schließlich eine Nacht vor Carlys Computer, weil beide ahnen, dass das Zugangspasswort für das Geheimnis „irgendwo im Speicher“ sein muss – sie vermuten, dass es sich offenbart, wenn sie „Thrillkill“ durchgespielt haben.

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Das wirkt alles recht konventionell erdacht und der Computer in „Thrillkill“ scheint bloß ein modernes Requisit zu sein, um diese Erzählung auf die Höhe der Zeit zu bringen. Dem Strukturalisten drängt sich vielleicht jedoch ein anderes, ein zweites Bild auf. Die Frage nach der Identität wird nicht nur im Plot selbst aufgeworfen, wenn Bobby Gilette fragt „Wer sind ’sie‘?“ – und damit die Identität der sie verfolgenden Gruppe erfahren will. Überhaupt spielt jeder in diesem Plot dem anderen vor, jemand anderes zu sein und konstruiert sich ein scheinbar makelloses Trugbild (quasi einen Avatar) der simulierten Persönlichkeit. Vielleicht ließe sich das Identitätsthema sogar bis auf die Ebene der Namen verfolgen, wenn man bedenkt, dass die Kosenamen „Carly“ und „Bobby“ zwar weiblichen Protagonisten gehören, jedoch männlichen Ursprungs (Carl, Robert, eine der Verfolgerinnen heißt zudem Toni) sind.

Was nährt eine solche Lektüre noch? Es ist das Computerspiel, das Carly programmiert hat. Zunächst bleibt es eine Black Box für den virtuellen Schlüssel zum Geld. Man sieht Carly zu Beginn an ihrem Computer programmieren und sich in die Bankkonten einhacken, dann erreicht sie die quasi erpresserische Nachricht ihres Chefs:

Thrillkill

Als sie kurz darauf die Panik bekommt und die sensible Information im Code zu vergraben beginnt, bekommt der Computer-versierte „Thrillkill“-Gucker beim Blick auf ein Standbild des allzu eilig vorbeiscrollenden Codes folgendes zu sehen:

Thrillkill

Das ist simples BASIC und macht nichts anderes als die Erpresserbotschaft mit einer Verzögerungsschleife auf dem Bildschirm auszugeben. Mutig gedeutet könnte man also behaupten: Der Filmplot ist selbst so etwas wie die Visualisierung eines Codes (und genau genommen ist er das als Adaption eines Drehbuchs ja tatsächlich) – aber eben eines Maschinencodes. Und wie um zu bestätigen, dass wir es hier mit einer verkehrten Welt zu tun haben, bekommen wir, als Bobby und Gilette das von Carly programmierte Spiel Thrillkill spielen, folgendes zu sehen:

Thrillkill

Das vermeintliche Spiel zeigt eine Realszene, die in ein Setting, das man in den 80ern wohl für virtuell generiert gehalten haben könnte, verlegt ist. Eine Frau in einem futuristischen Ganzkörper-Anzug läuft durch einen Gang, der mit Vektor-Elementen (bzw. Balken) verziert ist, auf den Spieler zu und schießt Lichtstrahlen auf diesen ab. Der Spieler muss nun mit Hilfe der Tastatur und einer am Computer angeschlossenen Lichtpistole ebenfalls den Bildschirm durchschießen („Screenshot“), um das Vorwärtskommen der gegnerischen Figur zu stoppen. Das Reale und das Virtuelle (die ja vorher die Rollen getauscht haben) bewegen sich hier also aufeinander zu und stoßen, wenn beide schlecht zielen, an der Membran des Bildschirms aufeinander.

In „Thrillkill“ changieren Virtualität und Realität ganz offensichtlich: Der Film, bzw. das Spiel in ihm, wirbt mit dem Slogan „The Game that plays you!“ Die Handlungswelt der Protagonisten zeigt sich als ein Raum, in dem man jederzeit die Identität wechseln, Geld per Tastendruck verdienen kann und in dem die gescripteten Dialoge mit der typischen 80er-Jahre-Oneliner-Ironie punktgenau aufeinander abgestimmt sind. Hätte man damals doch bloß nur so gute Film-Spiele programmiert, wie dieser Spiel-Film es vormacht …

Thrillkill

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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