»Er ist ein User, eliminiere ihn einfach! Ende der Kommunikation!«

Tron (USA 1982, Steven Lisberger) (DVD)

Wie hat man sich einen Computer vorzustellen? Nicht die äußere, graue Plastikbox und den Bildschirm mit den Zeichen darauf, sondern sein Innenleben, die elektrischen Prozesse, das Abarbeiten der Programme. Welche Bilder sind für die abstrakten Metaphern des Programms, der Schnittstelle, der Datei überhautp angemessen? Diese Frage beantwortet das Walt-Disney-Studio 1982 durch totale Anthropomorphisierung.

„Little Computer People“ sind es, die den Computer im Film bevölkern. Dieser Computer ist die zentrale Recheneinheit der Firma „ENCOM“, die seit kurzem von einem „Master Control Programm“ beherrscht wird. Das MCP ist ein betriebssystem-artiges Meta-Programm und überwacht die Funktionen aller anderen Prozesse im Rechner – vor allem aber die Schnittstellen, mit denen Daten in den und aus dem Computer in die Welt gelangen. Zwei Dinge werden nun zum Problem für das MCP: 1. Der Firmenangestellte Alan, der ein Programm mit dem Namen „Tron“ entwickelt hat, das als einziges unabhängig im System agiert und sogar das MCP überwachen kann. „Tron“ ist ein Monitorprogramm, ein „Tracer“ (vgl. den BASIC-Befehl „TRON – Trace On“) und damit ein virtueller blinder Fleck im allwissenden Auge des MCP, der die Entlassung Flynns und die Stillegung des „Tron“-Programms veranlasst.

Das zweite Probleme ist der Hacker Flynn, der einst Angestellter von ENCOM gewesen ist, bis die Firma ihn mit einem Trick um eines seiner lukrativsten Projekte betrogen hat: Ein Videospiel namens „Space Paranoids„. Die Wahrheit über den Urheber des Spiels ist noch irgendwo im System verborgen und so entschließen sind Alan, Flynn und ihre Freundin Lora, nachts bei ENCOM einzubrechen und in den Computer einzudringen. Der MCP ist jedoch gewappnet, digitalisiert über eine neueartige, experimentelle Schnittstelle Flynn und „saugt“ ihn in den Computer. Dort sieht er sich der despotischen Willkürherrschaft des MCP ausgesetzt. Programme aller Art, die den Glauben an ihren „User“ nicht freiwillig aufgeben wollen, werden interniert und in einer elektronischen Arena von Gladiatoren in Videospielen vernichtet. Als Flynn sich als User zu erkennen gibt, brechen die Programme Tron und Yori (ein Programm Loras) zusammen mit ihm aus, um zu einer Schnittstelle zu gelangen, von wo sie einen Code Alans in Empfang nehmen, der die Herrschaft des MCP entgültig beendet.

Ich habe den Film zum ersten Mal in der Originalfassung gesehen und war erleichtert, dass die meisten Albernheiten tatsächlich der deutschen Synchronisation zu verschulden gewesen sind. (Vor allem die Stimme des „Bit“, das Flynn eine zeitlang begleitet, wäre hier zu erwähnen: in der deutschen Fassung eine plärrende Kinderstimme, in der Originalfassung ein blechern klingender elektronischer Sound). Das bereits erwähnte Projekt des Films, die Anthropomorphisierung und damit Sichtbarmachung elektronischer Prozesse, wird auf großartige Weise umgesetzt. Halb Computer- und andere Animation, halb Realfilm entführt „Tron“ den Zuschauer ein eine „unheimliche“ Welt. Unheimlich im Freund’schen Sinne als etwas sehr vertrautes und doch fremdes, denn diese Welt ähnelt in Strukturen und Aussehen der unsrigen. Im Computer ist eine kleine Stadt. Abermals werden Straßen, Häuserzüge, Zitadellen und anderes zu Metaphern des Systems und mit Funktionsanalogien zwischen realer Welt und Computerwelt versehen.

„Tron“ ist in vielem luzide, beschreibt Formen von Computerkriminalität, die erst zwei Jahrzehnte später real werden. Das Tron-Programm wird mit den Attributen eines Virus versehen, das ACP gibt sich als Firewall. Über dies bedient sich die Geschichte von Flynn und ENCOM technikhistorischen Computergründungsmythen. Es wird von Garagen-Unternehmen, Softwarediebstählen und dem Videospieleboom erzählt. Die Welt im Computer wird mit den farbigsten Begriffen beschrieben: Der MCP beschwert sich etwa bei seinem Haupt-Folterprogramm „Sark“: „Programme fliegen mit einer gestohlenen Simulation durch das System!“ und als eben diese Programme (Tron, Flynn und Yori) an ihrem Ziel, der Schnittstelle „Dumont“ (es ist ein heiliger Berg, zu dem sie reisen und von dessen Gipfel sie einen „Strahl der Wahrheit“ empfangen!) angelangt sind, raunt „Dumont“ bedächtig: „All that is visible must grow beyond itself, and extend into the realm of the invisible.“ – Die Umkehrung des Prinzips „Tron“.

Screenshots folgen …

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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