»Will I dream?«

2010 – The Year we made Contact (USA 1984, Peter Haymes) (VHS)

Warum ich das 2001-Sequel so lange nicht mehr gesehen habe, ist mir erst heute, beim Gucken der VHS-Longplay-TV-Aufnahme (TNT) aufgefallen: Es ist schon ein überaus armseliges Sequel, das beständig versucht durch Implementierung einzelner Erzählfragmente und Motive an die Größe des Vorgängers heranzureichen. Das klappt aber nicht, denn alles in 2010 ist auf Plot und nichts auf Metaphysik angelegt. Einzig kurz vor Ende hat der Film mich dann doch noch aus der Reserve gelockt und zwar bei dem Gespräch zwischen Dr. Chandra und HAL 9000. Aber der Reihe nach.

Das Interessante an HAL 9000 ist, dass er sich seiner totalen Überlegenheit zwar bewusst ist, aber dennoch im Korsett seiner Programmierung gefangen bleibt. (Bei „Robocop“ hätten diese Beschränkungen noch „prime directives“ geheißen.) Das hat in „2001“ ein Sprechverbot zur Folge: Der Computer darf nichts über die Mission verraten aber als sie in Gefahr gerät, kann er auch nicht verschweigen, dass seine Hauptsorge der Mission und nicht der Besatzung gilt. Dieses Dilemma wird in „2010“ aufgearbeitet. Ein Dilemma, das man unter anderem auch psychologisch angehen könnte und deshalb wird der Ingenieur, der HAL entworfen hat und mit auf die Mission geht, auch spaßeshalber „computer brain surgeon and psychiatrist“ genannt. Und in der Tat ist das, was Chandra mit HAL treibt, eine Therapie.

Diese hat zum Ziel, ihn zum Suizid zu überreden und verläuft wie ein Patientengespräch, in dem der Arzt dem Todgeweihten erstmals die negative Prognose mitteilt. Ehrlichkeit habe sich HAL über sein Schicksal verdient und Achtung, denn es mache keinen Unterschied, ob ein Lebewesen auf Kohlenstoff oder Silizium basiere. Und so wird der Paranoiker HAL (durch den Zwang zur Lüge sei er „paranoid“ geworden, wie Chandra sagt) wieder in das System der Vernunft reintegriert und in die Ideologie, in der eine Sache einer höherwertigen Sache geopfert wird: Denn das Silizium-Lebenwesen HAL wird für niemand geringeres als die Raumschiff-Besatzung geopfert und da zählen dann doch wieder utilitaristisch-speziezistische Argumente.

In „2010“ sind Computer allgegenwärtig. Der Film zeigt in fast jeder Einstellung Bildschirme, Laptops, Tastaturen. Auf der Erde ist ein HAL-Pendant mit dem Namen SAL im Einsatz, das eine weibliche Stimme hat (sozusagen das Bindeglied zwischen „2001“ und „Alien“ bzw. „Dark Star“). Die Computer als Ausstattungsgegenstände unterscheiden sich von den Computer HAL und SAL vor allem dadurch, dass sie sprechen können. Und HAL muss nach seinem 9-jährigen Baby-Schlaf auch zunächst wieder in den Zustand des Bewusstseins empor gehoben werden: Chandra schaltet seine „höheren Funktionen“ nach und nach wieder ein und testet anhand der Sprachfähigkeit, inwieweit HAL wieder zu einem Lebenwesen wird, vor dem man „Achtung“ haben kann. Als er dann sterben muss, beweist er, dass er wirklich das ist, was ihm zugeschrieben wird: „I’m afraid.“

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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