»Talk to the bomb.«

Dark Star (USA 1974, John Carpenter) (DVD)

Für die zweite Folge der „Computer im Film“-Essay-Reihe stand als nächstes Carpenters Debüt-Film auf dem Sichtungsplan. Auf den ersten Blick scheint er ein wenig aus dem Fokus zu rutschen: Ein „Weltraumfilm“, in dem der Computer eine sprechende Bombe ist? Computer in futuristischen Science Fictions scheinen ja ohnehin ihrer Metaphorik entblößte „Zukunftsmaschinen“ zu sein. Der bzw. die Computer in „Dark Star“ und ihr Referenzobjekt aus „2001“ (auf den ich noch zu sprechen kommen werde), sind jedoch mehr als bloßes techno-utopisches Equipment: Sie haben eine „Seele“, ihnen wird (zuvor einprogrammierte) Persönlichkeit zugesprochen und sie interagieren mit ihrer Umwelt auf eine nicht vorhersehbare Weise. Denn obwohl sie so gegenständlich wirken, sind sie doch ganz geistige Wesen.

Die Computer in „Dark Star“: Das sind einerseits die Bomben Nr. 19 und Nr. 20, andererseits der Bordcomputer, der in der englischen wie in der deutschen Fassung eine überaus lakonisch intonierende weibliche Stimme bestitzt. Während der weibliche Bordcomputer in einer Art Krypta residiert (deren Eingang sogar die Form eines Sarges hat), von dort aus selbst schlimmste Hiobsbotschaften mit sanfter Alt-Stimme durchgibt und damit die Männer über ihr in den Wahnsinn treibt, bekommen die Bomben – zumal in der Aufnahme aus einiger Distanz – etwas Kindliches. Sie fahren aus dem Schiffsbauch heraus, um, wenn sie denn korrekt funktionieren, auf instabile Planete abgefeuert zu werden und diesen Job mit bester Laune zu verrichten.

Die Bombe Nr. 20 ist jedoch ein „Sorgenkind“. Durch eine Kommunikationsstörung zwischen Kind und „Mother“ (imdb benennt den Computer mit demselben Namen, den auch Scott fünf Jahre späterin „Alien“ für den Bordcomputer benutzt und Werner Faulstich hat überzeugend dargelegt, dass die Schwangerschafts- und Geburtsmetaphorik des Films durchaus plausibel ist) erhält sie den Befehl flügge zu werden – lange bevor ihr Ziel in der Nähe ist. Zunächst kann „Mother“ die Bombe wieder in ihren Schoß zurückrufen. Beim zweiten Auftreten der Fehlfunktion stellt sich der Bombe bleibt sie jedoch renitent und sie zweifelt nun die Sensordaten, die ihr den Einsatzbefehl übermittelten, nicht länger an.

Da hilft – wie stets bei kleinen Kindern – nur ontologische Phänomenologie. Vom in den Schiffseingeweiden eingesargten Commander Powell erhält einer der Raumfahrer den Tipp, in der Bombe Zweifel über die Existenz der Außenwelt und damit über die Richtigkeit der Sensordaten zu sähen. Dass der Skeptizismus, der letztlich daraus rührt, nicht etwa in Richtung Pyrrhon (also Tatenlosigkeit), sondern in infantile Allmachtsphantasie mündet, das ist nun das Wesentliche am Computer in diesem Computerfilm. Schon Descartes konnte „nicht einfach“ zweifeln, sondern hat für seinen Zweifel einen Handlanger, einen „ingenius malignus“ benötigt, der ihn dann schließlich in seine Existenzgewissheit geleitet hat: „Nun, wenn er mich täuscht, so ist es also unzweifelhaft, daß ich bin. Er täsuche mich, soviel er kann, niemals wird er doch fertigbringen, daß ich nichts bin, solange ich denke, daß ich etwas sei.“ (Descartes. 2. Mediation)

Der ingenus malignus, der die Bombe mit falschen Daten füttert, ist niemand anderes als der Bordcomputer, dessen Gehäuse das Schiff selbst ist. Die wesentlichen beiden Eigenschaften des Computers (Gefühllosigkeit und Naivität) hat schon zuvor im Computerfilm für beträchtliches Horrorpotenzial gesorgt. In „Dark Star“ wird sie noch sarkastisch überhöht, indem sie für die menschlichen Protagonisten zwei Fronten eröffnet: „Ihr seid nun auf euch allein gestellt“, sagt „Mother“ angesichts einer sich rasch nähernden Gefahr, ganz teilnahmslos, weil hre Jungs ja schließlich erwachsen sind und weil es ihr ja ganz egal ist, ob sie existiert oder nicht. Als wäre moralische Indifferenz für die sowieso schon ständig mit sich selbst hadernden Raumfahrer nicht genug, bekommen sie es auch noch mit epistemologischer Indifferenz zu tun. Die Bombe Nr. 20 lässt sich schlicht nicht davon überzeugen, dass sie getäuscht wurde. Der böse Geist, den sie von ihrer Mutter geerbt hat, „meditiert“ so lange, bis sie wie ein Selbstmordattentäter mit absoluter Gottes(selbst)gewissheit explodiert: sapere aude … fiat lux.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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