Filmfest München – Tag 7

Redacted (USA 2007, Brian de Palma)

Zunächst ist für mich erst einmal positiv festzustellen, dass nach Romeros „Diary of the Dead“ nun ein weiterer großer Regisseur der 1970er/80er-Jahre einen Paradigmenwechsel vom Erzählkino zum „Reflexionskino“ vollzogen hat. „Redacted“ ist zu aller erst ein Film über filmische Authentisierungsstrategien, der sich den Irak-Krieg und dessen mediale Darstellung zum Gegenstand gemacht hat. Erzählt wird von einer Gruppe amerikanischer Soldaten, von deren Alltag als Wachen einer Straßenkontrolle in Bagdad und von deren Kriegsverbrechen: Fast alle aus der Truppe überfallen nachts ein Haus, das sie wenige Tage zuvor durchsucht haben, weil darin eine 15-Jährige Irakerin mit ihrer Familie lebt. Auf dieses Mädchen haben sie es abgesehen. Sie vergewaltigen sie, erschießen sie und ihre Familie und verbrennen die Leiche des Mädchens. Der Film erzählt diese unglaublich grausame Geschichte als Pastiche aus verschiedenen Medienaufzeichnungen: einer Kamera, die einer der Soldaten bei sich führt, Überwachungskameras, späteren Verhörprotokollen, YouTube-Videos und so weiter. Dem Film gelingt es damit, den Horror, den ein solches Verbrechen auslösen muss, gar nicht erst aufkommen zu lassen, sondern durch sein stetiges insistieren auf die eigene Oberfläche (eben: die Authentizität) sehr schonend zu bleiben. Ob ich ihm das positiv oder negativ anrechnen will, weiß ich gar nicht. Schade ist nur, dass „Redacted“ sein eigenes Projekt manchmal untergräbt, wenn er von Zeit zu Zeit doch anfängt zu erzählen, wenn er die Authentisierungsästhetiken gelegentlich nicht mehr bloß darstellt, sondern sie zur Emotionalisierung/Affizierung heranzieht, wenn er also versucht durch seine eigene Oberfläche in die Tiefe zu gelangen, obwohl das niemand von ihm verlangt. Biran de Palma kommt eben auch hier aus seiner Haut nicht heraus: Spiel mit der Form oder Erzählung: Was soll’s denn nun sein?

Punch Drunk (D 1987, Herbert Achternbusch)

Der im Kultusministerium beschäftigte Staatssekretär Herbert Riesenhuber (Herbert Achternbusch) arbeitet an seiner Karriere. Minister will er werden und das, obwohl die Welt nach einer Atomkatastrophe in Schutt und Asche liegt. Er spaziert durch München, spricht von seiner Arbeit, seinen Verfehlungen und von den seltenen Gelegenheiten, wenn im Kultusministerium eine Bombendrohung eingeht. Dann kann er nämlich seinen buddhistischen Bestrebungen nachgehen. Diese haben auch dazu geführt, dass Herbert bereits 17 mal verheiratet war. Zusammen mit drei seiner Frauen findet er sich zum Ende am Strand einer zerstörten Seenlandschaft ein, wo nicht nur Liebe, Leidenschaft, Eifersucht und Tod aufeinander treffen, sondern ihn auch die Nachricht seiner Beförderung ihn erreicht. „Punch Drunk“ ist abermals eine Reaktion auf Tschernobyl. Der Film führt in radikalen Bildern vor, wie lebensgefährlich das Leben geworden ist. „Die Vernunft ist das erste, was bei der Atomstrahlung verbrennt“, sagt eine der Ehefrauen Herberts. Und Unvernunft findet sich folglich viel in „Punch Drunk“: Kalte Umschläge mit vollgeschissenen Babywindeln, Vergewaltigungen durch einen Riesen, Splattersquenzen, in denen die Kastration eines Mannes vorgeführt wird, genauso wie kaltblütige Morde – und hier bleiben die Toten anders als in vielen anderen Achternbusch-Filmen wirklich tot. Darüber hinaus rechnet „Punch Drunk“ einmal mehr mit dem bayrischen Staat ab: „Ein Leben lang war ich ein Esel. Doch dann kam ich als Staatssekretär wieder auf die Welt. Das ist doch ein Fortschritt“, konstatiert Herbert. „Punch Drunk“ ist ein radikaler Film voller Gewalt und Sex. Letzerer tritt in Form völliger Retardierung auf: Alle Figuren sind am Ende nackt oder halb nackt und fallen übereinander her.

Niemandsland (D 1991, Herbert Achternbusch)

Bahnhofsvorsteher Hick verlässt seinen Heimatort „Last Valley“, nachdem alle Gleise stillgelegt wurden und verschwindet im Niemandsland – einer Einöde, in der die Indianer leben. Daheim wird ihm in Abwesenheit der Prozess gemacht, in dem seine Ehefrau für ihn und sein Werk streitet: Hick hat ein revolutionäres Schilder-System eingeführt, mit dem der Straßenverkehr des Ortes endgültig sinnvoll geregelt werden kann. Dieses System versucht er nun auch im Niemandsland zu installieren. Irgendwo zwischen Gerichtsdrama und buddhistisch inspiriertem Dokumentarismus schwebt Achternbuschs „Niemandsland“. Seine Figuren, vom Glauben abgefallene Christen aus Südtirol, die sich in Amerika angesiedelt haben, stehen einmal mehr für seine beißende Kirchen-Kritik. Die ständige Thematisierung der Indianer (in Wahrheit sind es mongolische Steppenbewohner, denn das Niemandsland wurde von Achternbusch in der Wüste Gobi situiert) und ihres rechtlichen Nicht-Status ist bereits ein Vorzeichen der Kolonialismus-Kritik, die Achternbusch zwei Jahre später in „Ich bin da! Ich bin da!“ auf die Spitze treibt.

Picasso in München (D 1997, Herbert Achternbusch)

Picasso (Herbert Achternbusch) kehrt von den Toten zurück, um in München seine letzte stilistische Phase abzuschließen. Dort trifft er nicht nur auf seine zahlreichen Amouren, sondern auch auf die junge Takla Bash, mit der er eine künstlerische und sexuelle Beziehung anstrebt. Takla löst sich indes von ihrem Psychiater (Sepp Bierbichler), der unter der Fuchtel seiner Frau steht und ausschließlich auf Sex mit seinen Patientinnen aus zu sein scheint. Als sich Picasso und Takla näher kommen, verhindern immer wieder Besuche der Exfreundinnen des Malers, dass es zum äußersten kommt, können es schließlich jedoch nicht verhindern, dass die beiden intim werden. Tags darauf erfährt Takla von ihrer aus den USA angereisten Mutter, dass diese nicht nur auch eine Ehemalige des Malers ist, sondern sie soger das Kind beider. Zusammen überlegen Takla und Picasso nun, welche Möglichkeiten sie haben, weiterhin sexuell miteinander zu verkehren, obwohl sie Vater und Tochter sind. Es gelingt ihnen, doch ein Unfall scheint das Glück beider zu zerstören. Der ungewöhnlichen Fähigkeit Picassos, den Tod zu überwinden, ist es am Ende zu verdanken, dass die tödlich verunglückte Takla zurück ins Leben geholt werden kann. Die Handlungszusammenfassung liest sich bereits ungewöhnlich geradlinig für einen Achternbusch-Film und tatsächlich ist er es auch – wie etliche seiner späteren Werke. Mehr noch als in „Die Föhnforscher“ spielt die Malerei Achternbuschs in „Picasso in München“ eine zentrale Rolle. Die meisten der gezeigten Bilder stammen von ihm. Auch hier werden wieder zentrale Motive konzentriert: Zum einen die Hick-Figur, die mit der Picasso-Figur identisch ist, zum anderen etliche Bildsymbole aus den Filmen der 70er und 80er Jahre (ich frage mich langsam, ob das immer dasselbe Peperoni-T-Shirt ist, dass Achternbusch in vielen seiner Filme trägt). Die zentralen Themen Liebe und Eifersucht (letzteres hier abermals mit einer recht blutrünstigen Kastrationsszene dargestellt) finden auch in „Picasso in München“ wieder zentral Erwähnung. Ansonsten hat der Film, wie auch andere aus dem Spätwerk, aber nur noch wenige der Reize des „frühen Achternbuschs“ für mich zu bieten.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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