Aufbruch ins Tal der Ahnungslosigkeit

La Vallée (Frankreich 1972, Barbet Schroeder) (DVD)

Und auch der „zweite“ Schroeder-Film nimmt sich noch einmal den Idealen der Hippie-Bewegung an. Dieses Mal ist es das tief im westlichen Denken verankerte (und wohl auf den Dualismus zurückgehende) Bedürfnis der Identifikation mit dem Anderen, was um 1970 im massenweisen Bekenntnis zu fremden Ethnien und Religionen seinen Ausdruck fand. Die Pariser Künstlerin Vivianne reist ins Herz Neu Guineas, wo sie auf der Suche nach seltenen Federn des Paradisvogels ist. Zufällig lernt sie den jungen Mann Olivier kennen, der zu einer „Expeditionsgruppe“ gehört. Diese hat sich vorgenommen in ein bis dato nicht kartografiertes Tal vorzustoßen, weil sie dort „das Paradies“ vermutet. Auf ihrem Weg dorthin wirft die Künstlerin mehr und mehr Zivilisationsballast über Bord, lässt sich von der freien Liebe überzeugen, nimmt Drogen und verfällt schließlich in eben jene Aussteigerromantik, der auch ihre Reisebegleiter nachhängen.

Und wieder bringt Schroeder seine Kritik auf den Punkt. Hier, als die Truppe auf einen Eingeborenenstamm stößt, zu dessen jährlicher Feier die Europäer eingeladen werden. Was für die Hippies ein Bekenntnis zur Alterität, Verbundenheit mit der Natur und Freiheit der Lebensweisen wird, offenbart sich Olivier bald als Trugbild: Die Eingeborenen feiern nicht aus „Lust“, sondern aus traditionellem Zwang. Ihre Frauen sind nicht frei, sondern noch stärker versklavt als die Europäerinnen. Die Suche nach Alterität entpuppt sich ihm als Lebenslüge: Man kann nicht aussteigen. Man kann niemand anderes werden und schon gar nicht in eine andere Kultur flüchten – der Wille zur Flucht ist selbst immer schon ein konstitutiver Zug europäischen Denkens und Handelns. Auch hier verknüpft Schroeder seine ernüchternde Erkenntnis wieder an sagenhafte Bilder. „La Vallée“ pendelt zwischen Natur-, Ethnologie- und Liebesfilm, konzentriert sich oft minutenlang ohne Kommentar auf das Stammesleben der Eingeborenen und verliert damit beinahe den Plot aus den Augen. Eigentlich ein ziemlich gewagtes Projekt, das, zumal mit dieser Message, für einiges Aufsehen gesorgt haben dürfte. Im Rückblick erweist sich „La Vallée“ allerdings als dialektisch-hellseherischer Abgesang – besungen von „The Pink Floyd“, deren Album „Obscured by Clouds“ den Soundtrack zu Film bildet … und doch eigentlich wieder nur als Source Music in die Bilder gelegt wird.

Über Stefan Höltgen

siehe: http://about.me/hoeltgen
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